17. Dezember 2024; 19.00

Am 20. Dezember wäre die Wiener Dichterin Friederike Mayröcker (1924 – 2021) 100 Jahre alt geworden. Bis ins hohe Alter hinein schrieb sie an einem Gesamtwerk, das über 120 Bücher umfasst und in allen Schattierungen ein Toben des Lebens bezeugt. Ob sie die helle Hedonie feiert oder zitternd dem Tod zürnt – immer geht die Dichterin aufs Ganze, wenn sie die poetische Kraft der Sprache anwirft, um sich schreibend ihrer Existenz zu vergewissern.

15. November 2024; 20.00 Uhr

Am 2. November wurde in Darmstadt der renommierteste Literaturpreis des deutschen Sprachraums, der Georg-Büchner-Preis, an Oswald Egger verliehen. Das ist kein geringer Grund, den Dichter auch in Lana zu feiern, dem Dorf, in dem er aufgewachsen ist. Dort hat er auch den Verein der Bücherwürmer wesentlich mit aufgebaut, Lana zu einem Treffpunkt für Dichter und Dichterinnen gemacht und in die Landkarte der Literatur eingeschrieben.

10. Oktober 2024; 20.00 Uhr

Das Attentat meines Vaters. Eine deutsche Familiengeschichte

Wie ist es, herauszufinden, dass der Vater ein Attentäter war? Traudl Bünger kannte ihren Vater als einen fürsorglichen Mann, auf den sie sich stets verlassen konnte, der aber auch rigide Meinungen hatte. Schon als Kind wusste sie, dass ihn ein Geheimnis umgab, über das er stets eisern schwieg. Nach seinem plötzlichen Tod beginnt sie, dieses Geheimnis zu lüften – und wird in die frühen 1960er und die Bomben-Jahre der Südtiroler Geschichte katapultiert.

30.08.2024

Freitag, 30.08.2024

17.00 Magdalena Schrefel: Brauchbare Menschen (Suhrkamp Verlag 2022) Lesung und Gespräch Moderation: Ernest Wichner

18.00: Klaus Dörre: Demobilisierte Klassengesellschaft? Referat Moderation: Hans Heiss

20.00: Ingo Schulze: Zu Gast im Westen. Aufzeichnungen aus dem Ruhrgebiet (Wallstein 2024) Lesung und Gespräch Moderation: Stefano Zangrando

29.08.2024 - 31.08.2024

Die im Schatten

"Ich stehe auf der Plattform des elektrischen Wagens und bin vollständig unsicher in Rücksicht meiner Stellung in dieser Welt, in dieser Stadt, in meiner Familie" (Franz Kafka)

Gerechtigkeit? Gibt es nicht, kann es gar nicht geben. Nicht einmal Gott könne Gerechtigkeit herstellen, dazu müsste er seine Schöpfung widerrufen, schrieb Dostojewski, der radikalste Denker der Gerechtigkeit, im Roman „Die Brüder Karamasow“. Damit wischt er die zentrale christliche Tröstung, wonach es Gerechtigkeit wenigstens im Himmel gebe, mit einem Mal vom Tisch.

Wie steht es darum nun auf der Erde, wo es im besten Fall die Schwundstufe der göttlichen Gerechtigkeit, das Recht, gibt? Lässt sich hier ein Ort oder ein System finden, wo es gerecht zugeht, oder gilt auch hier und noch immer: Gerechtigkeit sei etwas, das vielleicht komme, etwas, auf das sich nur hoffen lässt? Ist Gerechtigkeit also nicht in jedem Fall eine Idee, der sich Gesetz, Recht und Macht so oder anders anzunähern versuchen? Und ist sie dann nicht allzu oft auch Teil dieser oder jener Utopie, von der man weiß, wie leicht sie in die Irre laufen kann? Kann Recht Gerechtigkeit schaffen? Das Recht in Form von Gesetzen regelt die Mittagszeit, garantiert aber nicht das Essen.

Gewiss ist, dass die gegenwärtige Gesellschaft, europaweit und erst recht global, ein massives Gerechtigkeitsproblem hat, weil der Reichtum der Erde extrem ungleich verteilt ist. Extremer Reichtum und extreme Armut nehmen seit einem Vierteljahrhundert gleichzeitig zu und schaffen eine Ungleichheit, die unsere Gesellschaft zu zerstören droht. Gleichheit und Gerechtigkeit, immerhin „egalitäre Kernversprechen der Demokratie“ (Danielle Allen) wirken vor diesem Hintergrund nur noch als grelle Parodien ihrer selbst. Der Sozialstaat, einst erfunden, um dem Kapitalismus „ein menschliches Antlitz“ zu verleihen, erlebt unter dem Druck der wirtschaftlichen Globalisierung, Digitalisierung und demographischer Veränderungen ein fürsorglich begleitetes Sterben. Soziale Gerechtigkeit – wie immer man sie definiert – wird zwar ununterbrochen herbeigewünscht und in unterschiedlicher Lautstärke eingefordert, realiter jedoch immer mehr infrage gestellt und wie ein Auslaufmodell gehandelt.

Freitag, 7. Juni 2024, 19.00

Humor ist eine der feinsten und möglicherweise klügsten Formen der Freiheit und des Widerstands. Gegen Humor kommen Diktatoren nicht an, Repressionen und kontrollierende Normen, vor dem Humor weichen drückende Düsternis und höllische Schmerzen. Humor bietet jeder pechschwarzen Bilanz die Stirn, ohne sie aufzulösen, im Humor redet die Frechheit oder gar Unverschämtheit dem autonomen Subjekt das Wort.Kaum eine andere Literatur aus Südtirol vermag der Macht des schalkhaften Lachens so sehr zu ihrem Recht verhelfen wie die Romane von Josef Oberhollenzer. Einem ständigen Spiel des Redens und Geredes, des sich überschlagenden und überbordenden Geschwätzes ausgesetzt, feiert die Sülzrather Trilogie eine einzige Anarchie der feinen Ironie und phantastischen Wortkunst, der unüberhörbar die Melancholie eingeschrieben ist.

Mit Umtrunk im Garten

Eine Zusammenarbeit mit der Eurac Bozen

Donnerstag, 6. Juni 2024, 20.00 Uhr

2013 endet in München eine Ära. Michael Krüger, der langjährige Leiter des Hanser Verlags, zieht sich aus dem aktiven Verlagsgeschäft zurück. Er hat nicht nur den Verlag geleitet und die Zeitschrift Akzente herausgegeben. Als Dichter und Schriftsteller, als Kritiker, Herausgeber und Übersetzer bleibt er weiterhin aktiv. Im deutschen Kulturleben ist er omnipräsent und unverzichtbar.

24. Mai 2024; 20.00

Oswald Egger, vielfach ausgezeichneter Dichter aus Lana, baut unermüdlich an einem dicht verzweigten, hochartistischen Werk, das sich kreuz und quer lesen lässt. Das kann man innerhalb eines Buches tun, durch dessen Seiten man sich gerne anarchisch schlägt. Das ist mitunter auch mit mehreren der schön gestalteten Bücher möglich, indem man von einem zum andern springt und Fäden folgt oder sie zieht oder durchbricht, wie es gerade kommt. Ob sich darin auch eine Poetologie und Poetik aufzeigt, eruiert der Abend mit Oswald Egger und Peter Gilgen anhand von "Val di Non".

18. April 2024; 20.00

Emine Sevgi Özdamars Bestseller ist die wortgewaltige Begehung eines Raums zwischen Bedrohung und Geborgenheit – ein vielstimmiges Loblied auf ein Nachkriegseuropa, in dem es für kurze Zeit möglich schien, mit den Mitteln der Poesie Grenzen einzureißen. Er ist der sehnsuchtsvolle Nachruf auf die Freunde, Künstler, Bekanntschaften, die sie auf ihrem Weg begleiteten.

Der aktuelle Roman der Georg-Büchner-Preisträgerin 2022

27. März 2024, 20.00

"Mathilda auf freiem Feld, in einem vagen äußeren Wind, der nach und nach anschwoll, äußerster Traum. Sie bewegte sich in einer dunklen Wolke. Schritt in der dunklen Wolke dahin. Sturmtief Mathilda.«Ein Buch, das es nicht nur zu lesen, sondern auch zu studieren lohnt.« Ein vielschichtiges, rätselhaft schönes Prosawerk über Bedrohungen der inneren und äußeren Natur.

Moderation: Katrin Hillgruber

13 febbraio 2024; ore 18.00

La nuova raccolta di Roberta Dapunt si snoda intorno a una serie di nuclei: il dolore come esperienza personale, come natura umana, come indignazione per le vicende collettive, siano le guerre, i migranti, il virus o la violenza sulle donne; e il silenzio, anzi, i silenzi, che non devono nascere da costrizione ma dallo stupore, dal pianto, dalla contemplazione; le sensazioni del sacro, visioni, odori, suoni; e la scrittura con la sua potenza e la sua impotenza, con i suoi tempi verbali nei quali è difficile immedesimarsi, così come è difficile riuscire a identificare se stessi nel fluire del tempo non verbale. L'intersecarsi di questi temi forma un percorso, una storia personale e collettiva raccontata con una forte tensione che non viene mai meno. E con una voce sempre alta, ma che non si fa mai enfatica grazie alla profonda perplessità che la anima da dentro.

Introduzione: Giovanni Tesio

Sonntag, 15. Oktober 2023, 19.30 Uhr

„Wir haben es nicht gut gemacht.“ Ingeborg Bachmann - Max Frisch sowie Gedichte, Notate und Auszüge aus „Malina“

Kompositionen von Caroline Profanter (UA), Hannes Kerschbaumer, (UA), Alexander Stankovsky, Sepehr Karbassian, Werner Henze Textfassung: Christine Vescoli, Gina Mattiello

Uraufführung!

26. August 2023

Der Vormittag des zweiten Literaturtages Lana 2023 schaut nach dem Abend mit der belarussischen Nobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch in ein anderes Nachbarland der Ukraine, nämlich Polen, das die Spuren des 20. Jahrhunderts ebenso trägt wie die sowjetische Fremdherrschaft und die stets präsente Bedrohung Russlands. Mit der Biografin Marta Kijowska widmet das Festival eine Hommage der verehrten Wislawa Szymborska, der Dichterin, die den Krieg überlebte und eine unerschöpfliche Welterfahrung durch Humor und Trauer bezeugte. In den zwei Romanen des polnischen Schriftstellers Jakub Małecki, die die Literaturtage Lana präsentieren, taucht der in seinem Heimatland bekannte Schriftsteller aus der Gegenwart in die leidvolle Vergangenheit seines Landes hinab.

25. August 2023, 20.00 Uhr

Swetlana Alexijewitsch: Das „rote“ Imperium existiert nicht mehr, der „rote“ Mensch aber ist noch da

Sechs Bücher hat Swetlana Alexijewitsch bislang veröffentlicht, doch im Grunde ist es ein einziges, an dem sie zeitlebens schreibt: Ein Buch über die Geschichte einer Utopie. Über „den Versuch, das Himmelreich auf Erden zu errichten“, wie sie es in ihrer Nobelvorlesung 2015 ausdrückte. „Doch am Ende blieben ein Meer von Blut und Millionen vernichteter Menschenleben.“ Swetlana Alexijewitschs Bücher beschäftigen sich mit dem individuellen Preis für die Utopie, den ein jeder, eine jede zahlen musste. Ihr Denken umkreist seither die Frage, warum es so schwer ist, sich aus den Zwängen der eigenen Zeit und den internalisierten Weltsichten zu lösen. Warum wurde in Belarus und Russland die Chance zur Freiheit und zu einem menschenwürdigen Leben vertan? Warum gelingt es nicht, den Gewaltkreislauf zu durchbrechen? Was sind das für Menschen, die fähig sind, in der Ukraine ungeheuerliche Gräueltaten anzurichten wie in Butscha oder Irpin, wo stammen sie her? Und was wird für die Welt daraus erwachsen?

Lesung und Gespräch Moderation: Katharina Narbutovic

19. Juli 2023, 20.00

Moderation: Martin Hielscher

Die Übersetzerin Renata verliert jäh ihren Lebensgefährten und wird mit gänzlich unerwarteten Konflikten konfrontiert. Sie muss sich außerdem selbst ins Leben zurückkämpfen und die Frage beantworten, ob Konrad, ihr Partner, Geheimnisse vor ihr hatte? Sabine Grubers Roman Die Dauer der Liebe ist ein ergreifendes, gelegentlich zorniges und manchmal auch komisches Buch.

30. Mai 2023, 19.00

Seit 1988, zehn Jahre nach dem Todestag des Südtiroler Dichters N.C. Kaser, gibt es den nach ihm benannten Lyrikpreis, den Literatur Lana alle zwei Jahre vergibt. Er geht an Dichterinnen und Dichter, die kein explizites Naheverhältnis zu N.C. Kaser haben, aber einer Literatur "an den Rändern", einer "kleinen Literatur" (Deleuze/Guattari) der einer poetischen und politischen Widerstandskraft folgen, wie sie der widerspenstige und eigenständige Kaser hatte. Zu den bisherigen Preisträger:innen gehören etwa Valzhyna Mort (Belarus/USA), John Burnside (Schottland), Farhad Showghi (Iran/D), Oevind Rimbereid (Norwegen), Elke Erb (D), Gennadij Ajgi (Tschuwachien) und andere mehr. Ursprünglich von Markus Vallazza und Paul Flora sowie dem Buchladen Lana von Paul Valtiner getragen, wird der preis in der Höhe von 10.000 € heute nach wie vor von der Familie Flora unterstützt, der ein besonderer und freundschaftlich verbundener Dank gilt, weiters von der Marktgemeinde Lana und dem österreichischen Bundesministerium.

5. Mai 223; 20.00 Uhr

Mit Daniela Strigl, die das Nachwort zum Roman geschrieben hat

Es ist das Jahr 1945. Eine dumpfe schwere Dunstglocke liegt über der Stadt Donaublau, wo die schwangere Berta die Rückkehr ihres Verlobten von der Front erwartet. Doch statt Rudolf tritt sein Freund Wilhelm ins Zimmer und überbringt Berta die Nachricht von dessen Tod, die sie nur mit einem »So, so« quittiert. Sie heiratet stattdessen den Kriegsheimkehrer, einen »würdigen Repräsentanten seiner Nation«, Chauffeur und »Geh-her-da«, und bekommt mit ihm ein zweites Kind, eifersüchtig beäugt von ihrer Freundin Wilhelmine. Aber das Leben erscheint Berta zunehmend wie ein böser Traum, die Schwerkraft der Verhältnisse zwingt alle zu Boden, besonders die kleinen und ganz kleinen Leute, versehrt und wortarm, bis Berta keinen Ausweg mehr sieht und ihre Kinder im verzweifelten Versuch, sie dem Zugriff der Umwelt zu entziehen, im Schlaf erstickt. Erst in einer psychiatrischen Anstalt findet sie Schutz vor der »Wunde Leben«.

23. Februar 2023, 20.00 Uhr

Michael Krüger, Schriftsteller, Dichter und ehemaliger Leiter des Hanser-Verlags, liebt die Schönheit und das gänzlich unsentimentale Naturverständnis von Segantinis Bildern seit langem. Kenntnisreich, eher literarisch als kunsthistorisch nähert er sich ihnen an und schreibt ein stilles Buch über Einsamkeit, Kunst und Natur, in dem sich Nüchternheit und Ergriffenheit, Anschauung und Reflexion verbinden. Wie es dem begnadeten Erzähler Michael Krüger eigen ist, schließt sich der Lesung ein Gespräch an, das sich aus dem Reichtum und den Erfahrungen eines der wichtigsten deutschen Intellektuellen unserer Zeit speist.

Montag, 21. November 2022, 20.00 Uhr

Ein Bild trifft den Blick der Betrachterin und lässt sie nicht los. Das Foto einer geisterhaften Pflanze in einem Tschernobyl-Buch. Das rauchvernebelte Gesicht eines Grubenarbeiters in einer Kiewer Ausstellung. Oder ein syrisches Flüchtlingspaar bei der Landung auf Lesbos, abgedruckt in der New York Times. Woraus besteht die Gegenwart? Aus dem, was in Ausstellungen hängt, an Plakatwänden verwittert oder über die Bildschirme läuft? Wie gelingt es, den intimen Moment der Bestürzung oder des Staunens in Sprache zu verwandeln?

Mittwoch, 26. Oktober 2022, 20.00 Uhr

Waltraud Mittich erzählt in ihrem in der edition laurin erschienenen Roman "Ein Russe aus Kiew" eine Herkunftsgeschichte, welche die Bruchstellen offenlegt, die der letzte große Krieg in den Biographien hinterlassen hat. Sie berichtet in autofiktionaler Weise von ihrem ukrainischen Vater, Offizier der Roten Armee, erzählt diesem nie gekannten Vater seine heutige Ukraine und in Anekdoten und kleinen historischen Exkursen ihr eigenes Leben und Frausein in Südtirol. Sie erinnert auch an die Vatersuche des großen Autors Joseph Roth, geboren in Brody, heutige Ukraine, und an sein Galizien, ehemaliges Kronland der Habsburgermonarchie.

15. September 2022, 19.00 Uhr

Im letzten Jahr wäre H.C. Artmann 100 Jahre alt geworden. Untrüglich in seinem Formenreichtum und schier unerschöpflich in seiner wuchernden Phantasie und Lust am Experimentieren, am Wiener Schmäh, dem Dialekt und den zahlreichen Sprachen, die er so oder anders aus dem Ärmel schüttelte, war er ein Dichter, für den Leben poetisches Handeln hieß. Und das meinte tatsächlich die Kunst zu leben und das Leben zum Fest zu erklären. Kein Abenteuer war ihm zu gewagt und keine sinnlichen Freuden versagt, kein Träumen nicht Wirklichkeit und keine Welt ohne fideles Treiben, im Leben genauso wie im Schreiben, von dem er nie weiß, was es ist. "Es kommt raus wie ein Husten, auf einmal ist es da." So überfallen wird der fröhliche Anarchist, dem an der tobenden Frage nach dem, was wir sind, achselzuckend nichts liegt: "Bitte bitte sagt mir doch, wer ich bin, damit ich mich wenigstens in Zukunft danach richten kann."

1. September 2022, 17.00 Uhr

Donnerstag, 1. September 2022

17.00 Uhr Katrin Hillgruber: Lebendig und arbeitsam. Aus Stahlbeton. Die Stadt Charkiw und ihre Bedeutung für die ukrainische Kultur

18.00 Yevgeniy Breyger Dagmara Kraus Ernest Wichner: Heute Mai und morgen du (Gedichte. SChöffling & Co. 2022) Moderation: Christine Vescoli

20.00 Uhr Tomas Venclova: Variation über das Thema Erwachen (Gedichte. Aus dem Litauischen von Cornelius Hell. Edition Lyrik Kabinett bei Hanser 2022) Moderation: Cornelius Hell

10. September 2022; 19.00 Uhr

Das Kloster Marienberg, ein überzeitlicher Ort, der seine mystische und sakrale Energie über die Jahrhunderte bewahrt hat, ist Inspiration und Schauplatz eines einzigartigen Werks zwischen Musik und Literatur. Eduard Demetz verschränkt in Atlas der schönen Welten zeitgenössische Klänge mit Texten aus Herta Müllers „Atemschaukel“ (2009) und Goswin von Marienbergs „Registrum“ (um 1400).

31. August 2022; 17.00 Uhr

Mittwoch, 31. August 2022

18.00 Uhr Ilma Rakusa: Kein Tag ohne (Droschl Verlag 2022) Moderation: Christine Vescoli

19.00 Uhr Valzhyna Mort: Musik für die Toten und Auferstandenen (Aus dem Belarussischen von Katharina Narbutovic. Suhrkamp Verlag 2021) Moderation: Katharina Narbutovic

20.00 Uhr Ljudmila Ulitzkaja: Ein Portrait Einführung: ILma Rakusa Lesung: Patrizia Pfeifer Filmgespräch mit Ljudmila Ulitzkaja von Ganna Maria Braungardt und Christine Vescoli

30. August - 1. September 2022

Als im Februar 2022 Russland die Ukraine angriff, kehrte in Europa der Krieg zurück, der nach Jahrzehnten des Friedens unvorstellbar geworden war. Offensichtlich aber gibt es keinen Grund zu meinen, der Krieg wäre vergangen. Den Krieg denken, bleibt uns bevor. Ebenso wie eine Sprache dafür finden, die uns hellhörig macht für Töne, Bilder und Begriffe, die ein Denken von Krieg und Verachtung zeigen. Wie vom Krieg sprechen, lautet die Grundfrage der Literaturtage Lana 2022, die vom 30. August bis 1. September Schriftstellerinnen und Schriftstellern aus osteuropäischen, ex-sowjetischen Ländern versammeln.

9. Juni 2022, 19.00 Uhr

Am 9. Juni 2022 feiert Literatur Lana zwei Ausgaben des N.C. Kaser Lyrikpreises. Vor zwei Jahren, mitten in der Pandemie, wurde der Schotte JOHN BURNSIDE ausgezeichnet, in diesem Jahr geht der Preis der Bücherwürmer an VALZHYNA MORT aus Belarus. Ein Fest mit Michael Krüger, der die Laudationes hält, und Ursula Ganahl-Flora, die den Preis mitträgt, ehrt den Dichter einer magisch rätselhaften Schwermut und die Dichterin, in deren sprachmächtige Texte voller Kraft, Zorn und Schönheit sind.

8. Juni 2022, 20.00 Uhr

Als die Viren-Katastrophe über uns kam, begann Michael Krüger, mit einer schweren Gürtelrose geschlagen, gerade eine Therapie gegen seine Leukämie. Und weil seine Immunabwehr auf null stand und ihn ein ferner Husten umgeworfen hätte, musste er sich von Menschen fernhalten. Er lebt seither in einem Holzhaus in der Nähe des Starnberger Sees. Von dort hat er seine poetischen Botschaften geschickt, Meditationen aus der Quarantäne, die viele Monate lang im Magazin der Süddeutschen Zeitung abgedruckt wurden und eine große Resonanz fanden.

11. Mai 2022, 20.00 Uhr

Statt der Person Franz Kafka rückt das Buch "Kafkas Poetik" De Gruyter, 2019) die „Autor-Legende" Kafka ins Zentrum der Aufmerksamkeit. In Anlehnung an Einsichten der russischen Formalisten geht es davon aus, dass das literarische Werk das Leben eines Autors nicht einfach abbildet, sondern mythologisiert, mystifiziert oder idealisiert, auf jeden Fall also modifiziert,.Eben jene Modifikationsprozesse und ihre Ergebnisse bilden das Thema der vorliegenden Untersuchung.

Freitag, 21. Januar 2022, 20.00 Uhr

Mit dem Autor Peter Kofler, im Gespräch mit Elmar Locher

Wie kam Shakespeare ins Deutsche? Wann setzte seine Literatur erstmal über auf den Kontinent und welcher Debatte folgte die Übersetzung? Der Literaturwissenschaftler Peter Kofler erzählt am 21. Januar 2022 in Lana davon und präsentiert seinen Band: "Shakespeare, so wie er ist".

26. November 2021, 20.00 Uhr

Fließt – alles? Wie ein fortschreitend oskulierendes Wogengewölle in Form von Worten und Formen ohne Worte, Strudelungen, Zerstreuungen und Häufungen selbstüberwälzter Vorwärtswellen von Reverien, die über die Ufer der inneren Landschaft vorüberschwimmen. Als ob Beziehungslinien im »Bewusstseinsstrom«, die einander berühren und liieren, sich schneiden, überlagern und wiederhin verlieren – wie die Linien einer Hand. Ganz unscheinbare Verursachungen, die jeweils zu Wirk- und Fließlinien führen, setzten sich fort im grellen, kruden Wechsel der Wortbewegungsbilder selbst, der Gedankenhäufung, der Winke und Unstetigkeiten abrupt wechselnder Aspekte.

21. Oktober 2021

Er war ein ungewöhnlicher Mensch im Tal, eine Ausnahme, aber keine Randfigur, von einem eigenwilligen Feinsinn und Intellekt. Blasius Marsoner (1924- 1991) aus St. Pankraz war Humanist, Dichter und Übersetzer. Er hing der Antike und der Klassik nach, besaß eine gut ausgestattete Bibliothek mit den wichtigsten Werken der Weltliteratur, er verfasste philosophische Essays und regionale Beiträge zur Geschichte des Ultentals, er schrieb Gedichte voller Melancholie und grundlegender Skepsis, er war ein origineller nicht weniger als profunder Denker.

15. Oktober 2021, 20.00 Uhr

Fünf Lebensbilder vergessener Persönlichkeiten von 1750 bis heute: Eine junge Frau tritt ins Kloster ein und wagt so einen Schritt in die Freiheit. Ein Organist, Komponist und Schriftsteller findet erst in der Fremde Anerkennung. Eine Mutter verlässt nach dem Ersten Weltkrieg ihren Mann und ihre acht Kinder und macht sich mit einem österreichischen Offizier davon. Eine Schuldirektorin gerät in politische und ideologische Wirren und fällt in Ungnade. Ein uneheliches Kind wird abgeschoben und entkommt der NS-Euthanasie.

„Totgeschwiegene Leben“ wurde im ladinischen Original „Vites scutedes via. Essays letereres“ (2020) beim literarischen Wettbewerb „Scribo. Auturs ladins scrí“ der ladinischen Kulturabteilung Südtirol ausgezeichnet.

30. September 2021, 20.30 Uhr

Ein Liederzyklus mit Gedichten und Texten aus Briefen von Ingeborg Bachmann und Paul Celan. Für Flöte, Horn, Schlagzeug, Violine, Violoncello, Alt, Countertenor und eine Sprecherin. Nach einer Idee von Elmar Locher. Von Herbert Grassl.

23. September 2021, 20.00 Uhr

In dem neuen Band "Barockgarten", der eben im Verlag A. Weger erschienen ist, legt Bertrand Huber Texte wie Beete an. Gedichte liegen neben Essays und kurzen Erzählungen und folgen einer genauen Anordnung und Reihenfolge der Symmetrie. Von Mitsommertagen ist darin die Rede, von Baumhäusern und Kinderängsten, von Apfelmythen und versäumten Träumen, von Zirkusleben, Lektüren und Schilfgürteln. Die Vielfalt der Themen, die sich durch den Band ziehen, wird dabei eingefangen durch die Form der regelmäßigen Abwechslung. Während die Natur im Barockgarten jedoch gebändigt und zur reinen Kunst gestaltet wurde, gibt Bertrand Huber letztlich doch einem freien Lauf der Gedanken sein Recht, einem Suchen, Andocken, Zweifeln und Sehnen.

4. September 2021

Der 3. Literaturtag Lana erinnert in einer Hommage mit dem Dichter Norbert Hummelt und der Schriftstellerin Andrea Winkler an die jüngst verstorbene Grande Dame der österreichischen Poesie Friederike Mayröcker.

Mit Zsófia Bán ist eine der schärfsten und zugleich witzigen Stimmen Ungarns zu Gast in Lana. Die Autorin, Essayistin, Literaturprofessorin und -kritikerin geht in ihren kurzen Texten dem hintergründigen Ziel nach, die Leerstellen von Geschichte aufzuzeigen und wie diese aus der Perspektive der Unterdrückten umgeschrieben werden können.

Den Abschluss des 36. Literaturfestivals Lana macht der Autor Mischa Mangel mit seinem Debütroman „Ein Spalt Luft“. Erinnerungslosigkeit wird darin zum Kern der Verstörung, die in der Suche nach einer verschütteten Vergangenheit zwar nicht erhellt, aber poetisch verwandelt werden kann.

3. September 2021

Mit Aleida und Jan Assmann sind die beiden Größen der Kulturwissenschaft zu Gast in Lana. Zahlreich sind ihre jeweiligen Fachpublikationen, die Hochkulturen, Religionen, Medien und Literatur umfassen. V.a. aber legt das Paar ein gemeinsames Lebenswerk vor, das unter dem Titel "kulturelles Gedächtnis" ein neue s Paradigma für kollektive Identitätsbildung geworden ist. Wie bilden Individuen und Gesellschaften ein Gedächtnis aus, um Identitäten herzustellen, Legitimationen zu gewinnen und Ziele zu bestimmen? Auf solcher Grundfrage geht das Gelehrtenpaar einem Wissen nach, das Zeit- und Geschichtsbewusstsein sowie das Selbst- und Weltbild einer Gesellschaft bestimmt. Institutionalisierte und konstituierte Formen des kollektiven Erinnerns spielen dabei ebenso eine Rolle wie Schrift, Medien, Wissenschaft oder Kunst und Literatur.

2. September 2021

Zur Eröffnung der Literaturtage Lana 2021 stellt die russische Autorin Maria Stepanova den Roman vor, der Furore machte und dem man ein neues Genres attestierte: Mit "Nach dem Gedächtnis" sei der »Metaroman« erfunden. 2018 auf Deutsch erschienen, gelang ihm nahezu der Status als Klassiker. Liebesgeschichten und Reiseberichte, Reflexionen über Fotografie, Erinnerung und Trauma verschmilzt die Stimme der Autorin zu einer spannungsvollen essayistischen Erzählung. Im Zentrum steht eine weitverzweigte jüdisch-russisch-europäische Familie von Ärzten, Architekten, Bibliothekaren, Buchhaltern und Ingenieuren, die in unzivilisierten, gewaltgeprägten Zeiten ein stilles, unspektakuläres Leben führen wollten.

2. - 4. September 2021

Erinnerung kommt nicht immer gelenkt in Gang. Sie läuft nicht auf der Zielgeraden rückwärts. Sie drückt nicht auf den Knopf, der in unserem Kopf Vergangenheit abruft. Erinnerung steht uns immer bevor und ist jedes Mal unverschämt ein neuer Anfang. Manchmal überfällt sie uns wie der Schlaf oder wie im Schlaf der Traum. Sie treibt uns ein Bild oder eine Ahnung zu, mit der sich keine Nacherzählung und kein Bericht decken können. Sie kommt von irgendwo und wir wissen nicht immer woher. Aber mit ihr ist eine Vergangenheit da, die unsere Gegenwart löchert, und wir rutschen durch die Löcher und Lücken in ihre Arme.

12. Juni 2021

Jemand malt ein Bild. Auf das Bild antwortet jemand mit einem Gedicht. Daraus macht jemand eine Zeichnung, worauf wieder jemand mit einem Text reagiert, auf den ein anderer Jemand eine Skulptur anfertigt, die der Anstoß zu einer Geschichte wird. Das geht fort und fort, ohne dass der eine weiß, wer die andere ist. Kunst und Dichtung gehen eins ins andere über und ordnen sich entlang einer allmählichen Verfertigung eines Ganzen. Einem Chor vergleichbar, wird das Werk zur Stimme aus Stimmen, die Ahnung und Wissen ist, Furcht und Freude und das, was nur ein Aufeinander-Hören zu sagen vermag. Ein Chor von Zikaden.

Mit Johannes Bosisio, Ann Cotten, Leander Schönweger, Martina Steckholzer, Monika Rinck, Dagmara Kraus, Arnold Holzknecht, Lene Morgenstern, Esther Kinsky, Michael Höllrigl, Josef Oberhollenzer, Wil-ma Kammerer, Sissa Micheli, Oswald Egger, Carmen Müller, Bertrand Huber

Kuratiert von Heinrich Schwazer und Christine Vescoli

22. September 2020, 19.00 Uhr

Bertrand Huber liest aus seinem neuen und dritten Lyrikband „Lichtoasen“. So wie in den vorhergehenden Gedichten lässt der Autor die Natur in Sprache aufgehen, um sie dem menschlichen Tun entgegenzuhalten. Im Spannungsfeld zwischen Mensch und Natur entstehen filigrane Gedichte, welche das Gleichgewicht suchen in einer brüchigen Welt.

In musikalischer Begleitung von Michl Lösch

In Zusammenarbeit mit: 20 Jahre Lana Art

21. September 2020, 20.00 Uhr

Erinnerung an ein totgeborenes Kind in den Wirren der 1920er-Jahre im Südtiroler Aibeln. Josef Oberhollenzer geht in seinem neuen Roman über das fiktive Aibeln und dessen großen Schriftsteller Vitus Sültzrather zurück in die Zeit zwischen den Kriegen, zurück in die Kindheit Sültzrathers und die Zeit vor seiner Geburt. "Zuber" ist nach "Sülzrather", mit dem Josef Oberhollenzer 2018 auf der Longlist des Deutschen Buchpreises stand, der zweite Roman einer Trilogie, erschienen im Folio Verlag.

12. September 2020, 13.00 Uhr

Verwundbar ist unsere Gesellschaft geworden und unsicher die Zeiten, in denen wir plötzlich von den kleinsten Körpern in uns bewohnt und gefährdet werden. Was es mit uns anrichtet, können wir noch nicht sagen, aber was die Literatur aus diesen Zeiten heraus sagt, können wir hören: in einem Lesefest von Südtiroler Autorinnen und Autoren, die in den Monaten des Lockdown Texte für Literatur Lana verfasst und in der Neuen Südtiroler Tageszeitung als Reihe „Fiebermesser“ veröffentlicht haben. In einem Lesereigen kommen sie in ihrer literarischen und performativen Vielfalt auf die Bühne. Sie werden begleitet von der Wiener Gruppe Fainschmitz, die heiter beschwingt einen gemütsvollen Jungle Swing spielt und das Lesefest mit der Eröffnung der Ausstellung "Lockout" feiert.

Mit Rut Bernardi, Bertrand Huber, Waltraud Mittich, Lene Morgenstern, Josef Oberhollenzer, Lissy Pernthaler, Anne Marie Pircher, Matthias Schönweger, Gerd Sulzenbacher, Matthias Vieider, Erika Wimmer, Jörg ZemmLer,

26. August 2020

Mit der Gedächtniskultur, der die Literaturtage Lana seit Jahren und jenseits der kulturkritischen Klage, dass das Gedächtnis schwinde, folgen, gehen wir davon aus, dass in jede Erinnerung die Erfahrung eines Jetzt und eines Damals ineinanderfließen, dass wir also Momente vom einen in die des anderen tragen und auf Gewesenes nicht zurückgreifen, als ob es irgendwo eingelagert und gespeichert wäre und uns als konserviertes, passives Objekt zur Verfügung stünde. Wenn wir es hervorholen, tun wir es mit dem, was uns jetzt an Wissen, Wahrnehmung und Erleben zur Verfügung steht und wir tun es mit den Fragen, die uns jetzt bewegen und in diese oder jene Vergangenheit zurück blicken lassen.

25. August 2020

Worauf verlassen wir uns, wenn wir fragen, was war, und wenn wir es erzählen? An welchem Punkt beginnt erfahrene Geschichte, wenn wir von früher erzählen und „damals“ sagen, „einmal“, „als“ und „später“? Es geht ja um Erfahrung, die wir in Sinn verwandeln wollen, wenn wir erzählend in die Vergangenheit schauen und sie in die Gegenwart herein holen. Woraus entsteht dann erinnerte Vergangenheit? Wie verwandelt sich Gedächtnis in ein Erzählen und in Literatur?

24. August 2020

Jahrzehnte nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs sprechen Männer und Frauen, die beim Einmarsch der Deutschen in Weißrussland noch Kinder waren, zum ersten Mal darüber, woran sie sich erinnern. Ihre erschütternden Berichte vom Krieg machen "Die letzten Zeugen" zu einem der eindringlichsten Antikriegsbücher überhaupt. Oft sind diese Erinnerungen nur Bruchstücke, und doch haben diese Kinder Dinge gesehen und erlitten, die niemand, am allerwenigsten ein Kind, sehen und erleiden dürfte. Alexijewitsch erweist sich einmal mehr als begnadete Zuhörerin und große Chronistin, die es versteht, den Erfahrungen von Menschen in Extremsituationen, im Ausnahmezustand einen einzigartigen Resonanzraum zu verschaffen. Video-Übertragung des Gesprächs zwischen Swetlana Alexijewitsch und Ganna Maria Braungardt.

Swetlana Alexijewitsch: Die letzten Zeugen (Hanser Berlin 2014, Aus dem Russischen von Ganna Maria Braungardt)

24. - 26. August 2020

Erinnerung vergisst, will vergessen und ist wählerisch. Sie verschiebt, überlagert, überschreibt und überblendet. Sie verändert, verzerrt und verformt, sie bejubelt und sie schlägt kaputt, sie verhakt sich und verebbt, entschlüpft und verdeckt. Sie hüpft und stürzt ein, taucht auf und bringt zum Einsturz, manchmal, hören wir jüngst, selbst Denkmäler. In dem flimmernden Bewusstseinsakt, der Erinnerung genannt wird, lauert stets der Zweifel an der eigenen Wahrheit. Was sie erzählt, ist nicht allein Geschichte, und wie sie es erzählt, ist Teil des Erzählten.

22. Januar 2020, 19.00 Uhr

Die jüngst erschienene und notwendige Studie von Sabine Mayr wirft einen erhellenden, klugen Blick auf eine Geschichte Merans, die bislang unbeschrieben ist und weitgehend unerwünscht war. Wie schon die historischen und literarischen Beiträge, die es in kriminalistischer Detailfreude untersucht, hat auch das Buch eine liberale und tolerante Gesellschaft im Visier und ist darüber hinaus in erfrischender Verve geschrieben.

18. November 2019, 20.00 Uhr

Robert Musil (1880-1942), der österreichische Autor, der mit dem Roman „Der Mann ohne Eigenschaften“ eines der wichtigsten Werke des 20. Jahrhunderts schrieb, war von Juni 1916 bis zum April 1917 zunächst Redakteur,dann ab Oktober 1916 Schriftleiter der (Tiroler) Soldaten- Zeitung. Mit dem Band „Oberleutnant Robert Musil als Redakteur der Tiroler Soldaten-Zeitung“ (hg. von Mariaelisa Dimino-Elmar Locher-Massimo Salgaro) liegt nun erstmals eine Studie zur Aktivität Musils in der Tiroler Soldaten-Zeitung vor.

4. Oktober 2019

Carlfriedrich Claus (1930 – 1998) gilt als radikaler Grenzgänger der Kunst und Literatur der DDR. Der Sprachkünstler, Zeichner, Grafiker und Fotograf hinterließ ein Gesamtwerk, das ein unermüdliches künstlerisches und lebensweltliches Dauerexperimentieren zeigt. Sein Briefwechsel mit Christa und Gerhard Wolf ist ein unverzichtbares Dokument seines vielfältigen Schaffens und Denkens.

Mit Katrin Wolf, Matthias Zwarg und Martin Hoffmann

Gespräch: Elmar Locher

6. September 2019

Der Abschluss der Literaturtage geht zum ältesten Epos eines Heimkehrers, dessen Irrfahrten eine Rückkehr zur Suche nach der Heimat und Herkunft machen. Hanns Zischler führt durch seine Lektüre der Odyssee und wirft dabei Schlaglichter auf einige besondere Figuren und Stimmen. Joseph Zoderer, Nestbeschmutzer und Heimatautor Südtirols, trägt einen alten Text zum Thema vor.

5. September 2019

Esther Kinsky und Martin Pollack kennen die Gegenden Polens und die Spuren des alten Galizien, sie kennen Randzonen und Provinzen,  die Grenzen und Geschichten von Regionen, die durch Nationalismen gekennzeichnet sind und "kontaminierte Landschaften" zeichnen. Esther Kinsky, skrupulöse Denkerin der Übergänge, stellt einen für Lana geschriebenen Essay zur Heimat vor und Martin Pollack seinen eben erschienenen Roman.

4. September 2019

Wie knüpft sich das Heimatgefühl an ein Land, das es nicht mehr gibt, das aber durch Krieg und Zerstörung immer noch in den Köpfen wütet, auch in denen der Generationen später? Melinda Nadj-Abonji, die in der Schweiz lebt, und Zoltán Danyj, der ungarischen Minderheit Serbiens zugehörig, kommen aus der Vojvodina, die vielen Volksgruppen Heimat ist, während Roberta Dapunt von einem dreisprachigen Land in den Bergen redet.

3. September 2019

Als Herta Müller vor 10 Jahren den gerade erschienenen Roman "Atemschaukel" in Lana zum ersten Mal  vorstellte, kommt dabei derselbe "Phantomschmerz des Erinnerns" zum Ausdruck wie in den Büchern zuvor und wie in dem jüngsten Collagenwerk. Über beides spricht die Autorin am Ebend der Eröffnung in Lana

24.04.2019

Das Eidechsenkind ist in Italien daheim und im Gastland zu Hause. Hier muss es sich verstecken: unter der Kredenz, im Schrank, in der Abstellkammer. In Ripa hingegen rennt der Junge wie alle Kinder dem Ball hinterher, jagt draußen den Wespen nach, gleitet von einer Umarmung in die andere. Dort, bei Nonna Assunta, wo ein Haus darauf wartet, fertig gebaut zu werden.

04. April 2019

2008 veröffentlicht Paul Schwedenreiters Heimatgemeinde Stumpf eine Ortschronik. Sie bezeichnet die Wehrmachtsdeserteure des Ortes als gefährliche Landplage. Als Retter des Ortes kürt die Chronik einen SS-Mann. In Stumpf hat die Zeit nicht geheilt. In Stumpf vergeht die Vergangenheit nicht. In Stumpf wird die Vergangenheit mit den Jahren bösartiger.

29. März 2019

Vom Leben auf dem Landgut der Familie angeödet, begleitete der junge Lew Tolstoi 1851 seinen ältesten Bruder Nikolai, der im Kaukasus dient, an seinen Einsatzort Starogladkowskaja, eine Kosakensiedlung am Terek. Seit Jahrzehnten führte das russische Imperium in der Region Krieg. Erst 1859 gelingt es, die muslimischen Kaukasusfürstentümer zu besiegen. Doch um welchen Preis!

22. Februar 2019, 18.30 Uhr

Er gehört zur Tradition der Bücherwürmer von Lana und blickt auf Literaturen, die in ihrer Haltung und Ästhetik in einer Nähe zu N.C. Kaser stehen: Seit 30 Jahren ehrt der nach dem Südtiroler Dichter benannte Lyrikpreis zeitgenössische Dichtung von trotzigem Temperament und poetischer Originalität, die nicht artistisch beschlagen, sondern phantastisch belebt und ungesichert bewegt ist. So wurden u.a. Bert Papenfuß und Gundi Feyrer ausgezeichnet, der Tschuwache Gennadji Ajgj oder Elke Erb aus Berlin, die Schwedin Aase Berg oder der Norweger Oevind Rimbereid, Tom Leonard aus Schottland und Trevor Joyce aus England. In diesem Jahr geht der mit 10.000 € dotierte Preis an den Dichter Eckhard Rhode aus Hamburg.

01. Dezember 2018, 11.00 Uhr

„Am Turme“ heißt das Gemeinschaftsprojekt von Stefan Fabi und Bettina Galvagni, das Kunst und Literatur auf Castel Lebenberg bei Tscherms zusammenführt. Um den Turm, traditionsreiches Motiv der Kulturgeschichte, kreist sowohl die Ausstellung mit Holzschnitten und Objekten des Künstlers wie auch der Gedichtzyklus der Schriftstellerin, der das berühmt gewordene Gedicht von Annette von Droste-Hülshoff revoziert.

6. Oktober 2018

Ein überraschendes und vielfältiges Experiment voll poetischer Phantasie, das nach allen Seiten sich öffnet und den Weg von Sprache zu Sprache sucht: "Lyrischer Wille"  versammelt die Ergebnisse eines groß angelegten Übersetzungsprojektes. 55 Autorinnen und Autoren übersetzen sieben Ausgangsgedichte in der Art eines Kettengedichts. Dem jeweiligen Übersetzer ist nur die Vorgängerversion bekannt, und oft kehrt die Übersetzung in völlig neuer Gestalt in die Sprache des Originals zurück.

In 15 Sprachen – darunter Italienisch, Deutsch, Ladinisch, aber auch Arabisch, Farsi oder Albanisch – führen die Texte Faszination und Schönheit von Mehrsprachigkeit vor. Südtirol wird hier zu einem Labor der Poesie. Das vergnügliche Spiel mit Sprache lässt die Potenziale einer multilingualen Gesellschaft erahnen.

21. August 2018

Dem Dichter, Romanautor, Filmemacher und Theatermann Thomas Brasch, seiner poetischen Rage und politischen Leidenschaft, ist eine Hommage im Rahmen der Literaturtage Lana gewidmet. Brasch, der nach seiner Ausreise in den Westen 1977 von den Medien zum Vorzeigedichter der DDR mutierte, ließ sich vor keinen ideologischen Karren spannen und blieb gegenüber jedweder Vereinnahmung immun. Mit seinem Werk durchquerte er bewusst die Widersprüche der Gesellschaft, denen er sich – ob es den Konflikt beider Deutschlands betraf oder das Gefälle der Generationen, die realsozialistische Arbeitswelt oder die als junger Mann abgebüßte Gefängnisstrafe wegen „staatsfeindlicher Hetze“ – mit allen Facetten am eigenen Leibe aussetzte.

 

20. August 2018

Vor einem Jahr widmeten sich die Literaturtage Lana dem Werk und der Person Ezra Pounds, der letzte Cantos auf der benachbarten Brunnenburg geschrieben hatte. Mit dem Blick zurück auf diese widersprüchliche Figur war bereits die Frage nach der Rolle der Dichtung in der modernen Gesellschaft gestellt. Das diesjährige Festival greift die verwickelten Zusammenhänge von Kunst und Gegenwart noch einmal auf. Herangetragen an die Sprache als Austragungsort und Mittel dichterischen Denkens, zielt es dabei auf den Brennpunkt, der die Form der Dichtung immer auch als Haltung ausweist und im ästhetischen Ausdruck ein zeitgeschichtliche Bewusstsein erkennt.

 

20. August 2018

Spätestens seit Liao Yiwu der Friedenspreis zugesprochen wurde, gilt der Dichter und Musiker als literarische Stimme Chinas. Als Chronist und Dichter hat er seinem Heimatland, das ihn 2011 zur dramatischen Flucht nach Deutschland zwang, mit zahlreichen Büchern ein Denkmal gesetzt. In seinem ersten Roman, den er 1992 heimlich im Gefängnis schrieb, verwebt Liao Yiwu auf poetisch abgründige Weise die Geschichte seiner Familie mit der seines Heimatlandes. Liao Yiwu saß im Gefängnis, in der Falle des totalitären Wahnsinns, und erfuhr Folter und Demütigung, nur weil er Gedichte schrieb. Allein sein Lieblingsbuch, das wundersame chinesische Orakel I Ging, half ihm, die Hölle der Gefangenschaft zu überleben. Ein starker Roman, in dem der große Dichter Chinas zu einer neuen, überwältigenden Sprache gefunden hat.

 

 

 

 

 

 

19. Juni 2018, 18.00 Uhr

Marina Zwetajewa gilt neben Anna Achmatowa als bedeutendste russische Dichterin des 20. Jahrhunderts. Uneingeschränkt in einer Unbedingtheit, maßlos in einer Empfindsamkeit, stolz selbst in der Erniedrigung und schonungslos sich selbst und dem Leben gegenüber, das eins mit dem Schreiben war – die Erfahrungen der Zwetajewa waren wie ihre Dichtung nie anders als radikal. Die Dimension der Intensität ging in ein umfangreiches lyrisches Werk voll dichter Musikalität ein, von formalen Neuerungen und Eigenarten, Dissonanzen und Diskrepanzen. Die Dringlichkeit dazu bezog die Dichterin aus einer widerspenstigen Vitalität und aus der Überzeugung, nur über das dichten zu können, was sie kannte.

13. April 2018, 20.00 Uhr

1877 veröffentlicht Gustave Flaubert in Frankreich sein letztes Buch, an dem er drei Jahrzehnte gearbeitet hat. Für viele ist es sein vollkommenstes Werk. Félicité, die Magd, die ein „schlichtes Herz“ voller Hingabe und Liebe an die anderen verschenkt, zuletzt an Flauberts berühmten Papagei; Julian, der seine Eltern ermordet und doch ein Heiliger wird; Salome, die tanzt, bis sie den Kopf Johannes‘ des Täufers bekommt – das sind drei unvergessliche Gestalten, drei ganze Leben auf wenigen Seiten. Niemals hat Flaubert so kraftvoll erzählt und dabei so gelassen und einfühlend. Fünf Jahre nach ihrer gefeierten Neuübersetzung der „Madame Bovary“ legt Elisabeth Edl auch diese „Drei Geschichten“ vor, eines der schönsten Bücher der französischen Literatur.

29. März 2018, 19.00 Uhr

Wortgewaltig und erfindungsreich treiben sie die deutsche Poesie der Gegenwart voran: Bei Oswald Egger und Durs Grünbein ist das Gedicht immer sprachlicher Erkenntnisraum. In einer virtuosen Fülle an Stimmen und Quellen, an Fragmenten und Referenzen spielen sie die Möglichkeiten eines umfassenden Wissens mit allen Mitteln der Wirkung und Wahrnehmung aus. Nichts ist nicht fundiert durchwirkt und überprüft in der Reflexion von Sprache. Nichts ist nicht gedacht oder nichts nicht erdacht.

19. März 2018, 18.30 Uhr

"Sincope è per me il resoconto di un tempo debole, uno spostamento di accento. Così sento le mie ultime scritture, sono l'espressione di un'agitazione. Il loro accento si sposta sulla mia condizione di una quotidianità che vuole e che anche desidera mancare di stabilità. Personalmente la reputo una qualità. Sono, soprattutto nel modo di scrivere, una deviazione, seguono, anzi meglio, vogliono seguire una direzione diversa, non più quella "ordinaria" della poeta che accoglie ogni gesto, ogni silenzio del maso, o della malattia, in qualche modo ben basato ed equilibrato, e che si muove in una capacità di resistenza. Qui parlo del corpo e della sua solitudine. E nelle mie solitudini c'è sempre un'alterazione un po' più elevata, il malessere è una mia realtà che non riesco a evitare". (Roberta Dapunt)

5. und 6. Oktober 2017

Liebeslieder seien immer „müder Flug“, meinte der große Dichter Friedrich Hölderlin 1803, während er vaterländischen Gesängen das „hohe, das reine Frohlocken“ zubilligte und in Messiaden und Oden „das Prophetische“ erkannte. Damit kündigt er seinem Verleger Wilmans neue Gedichte an, die 1804 als neun „Nachtgesänge“ erschienen und für einen Skandal sorgten. Derlei Verse waren für die Zeitgenossenschaft sonderbar, „abgerissene Laute eines gestörten, einst schönen Bundes zwischen Geist und Herz“, „lächerlich“ und „Nonsens“ und 1846 fand der ganze Zyklus Eingang in eine Rubrik unter dem Titel „Aus der Zeit des Irreseins“.

 

30. August 2017

"That I lost my center / fighting the world" (E. P. Cantos)

2017 jährt sich zum 45. Mal der Todestag des Dichters Ezra Pound. Neben James Joyce, William Faulkner oder Ernest Hemingway gehört der Vordenker poetischer Avantgarden zu den wichtigsten englischsprachigen Stimmen und zu den Klassikern des 20. Jahrhunderts. Selbst profunder Kenner der Literaturen der Welt, hat er mit seinen „Cantos“ Literaturgeschichte geschrieben.

24. und 25. Mai 2017, 20.00 Uhr

Unerschrocken in ihrer Betrachtung der Existenz, gehört die jüngst verstorbene Ilse Aichinger zählt zu den singulären Erscheinungen der deutschen Nachkriegsliteratur. Einer „größeren Hoffnung“ ebenso wie einem anarchistischen Zorn über die Welt verpflichtet, suchte sie nach einer Form des Erzählens, durch die den Wörtern „die Lautlosigkeit zurückzugewinnen sei, aus der sie entstanden sind“. Damit einher ging das Misstrauen gegen die „besseren Wörter“ und gegen den redundanten Einsatz von Rede und Selbstrede. Viel eher schöpfte Aichinger ihr Sprechen aus der Reduktion auf eine Poetik, die ein persönliches Ich zurücknimmt und ihr Maß an der Präzision und Klarheit der Beobachtung nimmt: an einem „Zustand zu schreiben, in dem sich innere und äußere Genauigkeit deckt".

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3. Mai 2017, 19.00 Uhr

Szilárd Borbély, dessen Romandebüt Die Mittellosen in Ungarn, Deutschland und vielen anderen Ländern ein literarisches Ereignis war, wollte seinen nächsten großen erzählerischen Text Franz Kafka widmen. Die Sammlung von Bruchstücken, aus dem Nachlass veröffentlicht, ursprünglich zur Publikation bestimmt, bezieht ihre Intensität aus der leidenschaftlichen Suche des Autors nach sich selbst und der eigenen Stimme.

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2. Mai 2017, 20.00 Uhr

Er gehört zu den großen europäischen Erzählern der Gegenwart und zum ungarischen Gestirn, das mit den im vergangenen Jahr verstorbenen Imre Kertész und Péter Esterházy Weltliteratur als wunderbare Zumutung und Zeugnis schafft. In Romankonstruktionen von höchster Spannkraft leuchtet Péter Nádas die großen geschichtlichen Erfahrungen des 20. Jahrhunderts aus, genauso wie die Naherfahrungen des Einzelnen in ihrer existenziellen Dimension. Das zeigt sich u.a. in dem viel gefeierten „Buch der Erinnerung“ (1986) oder dem anderen Opus maximum „Parallelgeschichten“ (2005), wo in einer Fülle an Geschichten familiäre und europäische Schicksale verhandelt werden.

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22. April 2017, 11.00 Uhr

Meist ist es umgekehrt: Bilder illustrieren Texte. Für dieses außergewohnte Literaturprojekt bilden die Kugelschreiberzeichnungen von Verena Kammerer den Ausgangspunkt: Die in Berlin lebende Künstlerin hat ihre Zeichnungen von Menschen und Tieren befreundeten und bekannten Schriftstellerinnen und Schriftstellern als Inspirationsquelle, Schreibanlass, literarisches Motiv überlassen. Das Ergebnis ist eine Sammlung von 40 Texten, die als Reaktion auf die Zeichnungen entstanden sind oder eine Korrespondenz dazu aufgegriffen haben, u.a. von Rut Bernardi, Ann Cotten, Sabine Gruber, Orsolya Kalász, Josef Oberhollenzer, Sepp Mall, Friederike Mayröcker, Monika Rinck, Markus Vallazza.

Bei der Matinee am Samstag, den 22. April, spricht Verena Kammerer über ihre Zeichnungen und die als unmittelbare Reaktion darauf entstandenen Texte. Es lesen Rut Bernardi, Josef Oberhollenzer und Sepp Mall.

 

23. März 2017, 20.30 Uhr

Als im November 2016 Ilse Aichinger starb, verschied damit eine Autorin, die ein Leben lang die Nähe zum eigenen Verschwinden gehütet hat, als wäre es die unaufhörliche Einübung in den Abschied. Oder erst die Erprobung der Existenz. Darin präzisierte Ilse Aichinger eine Haltung des Schweigens und der Diskretion, die so wenig ein Verstummen war wie ein Versagen des Sagbaren. In der Zeit des Krieges hielt sie sich mit ihrer jüdischen Mutter jahrelang versteckt, während die Großmutter und Muttergeschwister in den Konzentrationslagern starben. Aichingers Schwester konnte nach England fliehen. Diese Erfahrung und die wachsame Beobachtung der Zeitgeschichte verpflichteten die Autorin, die anarchistisch einen Zorn über die Welt pflegte, zu einer Dringlichkeit des genauen Sagens und einer Erzählung des lautlosen Zuhörens und Zuschauens. (mehr …)

15. März 2017, 20.00 Uhr

Zwar wurde er allseits bewundert, aber kaum gelesen und noch weniger fand er die Aufmerksamkeit der literarischen und wissenschaftlichen Bearbeitung. Dabei legte Adalbert Stifter mit dem Roman „Witiko“ ein breit angelegtes Werk vor, das die Geschichte seines besonnenen Helden ebenso dicht und sprachlich hintergründig nachzeichnet wie die Gründung des Adelsgeschlechts der Witigonen.

Der Südtiroler Literaturwissenschaftler und Übersetzer Felix Reinstadler und der Dichter Michael Donhauser nähern sich dem historischen Epochenwerk an. (mehr …)

3. Februar 2017, 20.00 Uhr

Als verschroben galt Franz Josef Noflaner, als kurioser Eigenbrötler und unermüdlicher Schöpfer aus dem Grödental, der unerwartet erfrischende Verse ebenso wie distinguierte Briefe an Greta Garbo schrieb und Bilder voll expressiver Glut malte. Die umfassende Monografie, herausgegeben von Markus Klammer, stellt das Werk des Künstlers und Dichters  in facettenreicher Betrachtung vor. (mehr …)

16. Dezember 2016

Er stammt aus Sarajewo, eine der ehemals blühendsten Städte Mitteleuropas, die viele Kulturen, Religionen und Sprachen vereinte und ein höchst fruchtbares geistiges Leben bot. Daher weiß er, welche Kraft ein friedliches Zusammenleben für eine Gesellschaft hat. In seinem neuen Roman "Der Trost des Himmels" taucht Dževad Karahasan tief in das 11. Jahrhundert von Persien ein, um die Gefährdung einer Kultur durch Fundamentalismus zu betrachten und damit ein Denken und eine Existenz der Gegenwart zu verknüpfen und die zu beziehen.

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16. Dezember 2016

Er stammt aus Sarajewo, eine der ehemals blühendsten Städte Mitteleuropas, die viele Kulturen, Religionen und Sprachen vereinte und ein höchst fruchtbares geistiges Leben bot. Daher weiß er, welche Kraft ein friedliches Zusammenleben für eine Gesellschaft hat. In seinem neuen Roman "Der Trost des Himmels" taucht Dževad Karahasan tief in das 11. Jahrhundert von Persien ein, um die Gefährdung einer Kultur durch Fundamentalismus zu betrachten und damit ein Denken und eine Existenz der Gegenwart zu verknüpfen und die zu beziehen.

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23. November 2016, 20.00 Uhr

Joanna Bator, Autorin der oberschlesischen Landschaften, einst Region der Umsiedler und Vertriebenen, zählt heute zu den bedeutendsten Schriftstellerinnen Europas. Aus der Geschichte ihrer Region schöpfend, leuchtet die polnische Erzählerin fast magisch, fast surreal leuchtet sie die aberwitzigsten Geschichten und subtilen Stimmungen aus, die Überliefertes beschwören und dabei das Absurde so leichtfüßig ins Spiel bringen, dass es ganz und gar real wird.

14. November 2016, 20.00 Uhr

Zur Eröffnung der Veranstaltungsreihe „Heimat Europa“ der Hausgemeinschaft kultur.lana stellt stellt György Dragomán, dieses "herausragende Talent der jungen ungarischen Literatur" (György Konrád), seinen jüngsten Roman "Der Scheiterhaufen" vor. Darin schildert er die politische Geschichte Osteuropas fast in beiläufiger Erzählkunst als gespenstiges Geschehen und zeichnet die Seele der Protagonistin, eines junges Mädchens, so mutig wie zäh und zart - ein großartiges und verstörendes Panorama der Liebe und Grausamkeit" (Paul Jandl).

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8. September 2016, 20.00 Uhr

Nach dem Erfolg ihres letzten Romans „Stillbach oder Die Sehnsucht“ legt Sabine Gruber nun das nächste Buch vor: „Daldossi oder Das Leben des Augenblicks“ heißt das jüngste Werk der gebürtigen Lanenerin, das eben erschienen ist und von Literatur Lana und der Öffentlichen Bibliothek vorgestellt wird. Es erzählt die Geschichte eines ehemaligen Kriegsfotografen, der seine Vergangenheit und Erlebnisse nicht vergessen kann und der von den psychischen Belastungen, die sie bedeuten, schier erdrückt wird.

25. August 2016

18.00 Uhr: Ann Cotten: Lesung aus „Verbannt!“

19.00 Uhr: Xaver Bayer und Hanno Millesi: Präsentation der Anthologie „Austropilot. Prosa und Lyrik aus österreichischen Literaturzeitschriften“

20.30: Kerstin Cmelka: Vortrag/Lecture-Performance der Wolfgang Bauer-Adaptation „Change“, mit Video-Auschnitten und Live-Darstellung (unter Mitwirkung von Hanno Millesi)

 

24. August 2016

Bitter ist er, schwarz, skurril, ironisch und kaum ohne Charme dessen, der selbst die Katastrophe in heiterer oder grantelnder Gelassenheit ertragen kann. Dem Weinen ebenso nahe wie dem Lachen, ist der österreichische Humor einer der hintergründigsten und doppelbödigsten; keine Komödie, die nicht auch Tragödie (Thomas Bernhard), und keine Verzweiflung, die nicht auch Trost wäre (Nestroy).

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24. August 2016, 20.00 Uhr

Die Eröffnung der Literaturtage Lana 2016 bestreitet einer der erfolgreichsten Filmemacher Österreichs. Wer kennt nicht die „Sendung ohne Namen“, die Serien „Braunschlag“ und „Altes Geld“ oder die Late-Night-Show „Willkommen Österreich“. Sie alle genießen Kultstatus, sind Popkultur selbst in ihrem bissig grotesken Intellekt und in der tiefschwarzen Seele, für die etwa Thomas Bernhard noch einen gehörigen Skandal und öffentliche Beschimpfungen geerntet hatte.

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28. April 2016

2015 war der palästinensisch-libanesische Dichter Mazen Maarouf Literaturstipendiat in Lana, wo er zwei Monate verbrachte. Seitdem lebt er wieder in Beirut. Seine Gedichte und Kurzerzählungen, lapidar und knapp wie Epigramme und aufgeladen mit einer eigenwilligen, nicht weniger leuchtenden Bildersprache, erzählen von den endlosen kriegerischen Konflikten und ihren Schrecken, sie erzählen vielfältig und ambivalent von Vertreibung und Exil und von existenziellen Erfahrungen, die Abschied, Fremde und Entfremdung in einer fast erschütternden Schwerelosigkeit darstellen. Darin haben auch die Feinheit einer diskreten und unaufdringlichen Nonchalance Platz und der melancholische Blick auf die unerbittliche Flüchtigkeit der Liebe oder die Unbehaustheit eines verwirrten Herzens. In Meran wird Mazen Maarouf von Übersetzern des „Versatoriums“ vorgestellt. Neben der Präsentation von Gedichten und Kurzgeschichten aus den letzten Jahren wird ein Gespräch die Reflexion über das aktuelle Thema von Flucht und Migration zur Sprache bringen, ohne es von der Fähigkeit der poetischen Auseinandersetzung abzukoppeln. Nicht zuletzt werden auch Fragen und Erfahrungen der Übersetzung diskutiert.

27. April 2016

Roberta Dapunts Welt benennt kleine Vorgänge, die Arbeit am Bauernhof, Menschen im Dorf wie Herta, den ersten Toten in der Verwandtschaft und sucht die Zweifel und das Hier-Stehen-und-Sein zu fassen. Die lyrische Sprache von Roberta Dapunt verschmilzt liturgische Formeln mit weltlichen Versen. Sie spricht von einer Heiligkeit, die sich in den täglichen Handgriffen der häuslichen und bäuerlichen Arbeit eher zeigt als im Gebet. Sie führt religiöses Vokabular auf eine ursprüngliche Körperlichkeit zurück.

Mit Peter Waterhouse und Versatorium: Julia Dengg, Helmut Ege, Daniel Lange, Mathias Müller, Maria Muroni und Felix Reinstadler

26. Februar 2016

Der deutschsprachige Roman über Israel und Palästina – gedankenklar, virtuos, aufrüttelnd. John, amerikanischer Jude und ehemaliger Freiwilliger der israelischen Armee, wird in San Francisco auf offener Straße niedergestochen. Wer war John? Diese Frage stellt sich dem österreichischen Autor Hugo, der um seinen Freund trauert. Auf den Spuren Johns reist er nach Kalifornien, wo sich die beiden vor einem halben Leben kennengelernt haben, und dann nach Israel. Dort findet er sich im jüngsten Gaza-Krieg auf beiden Seiten des Konflikts wieder. „In der freien Welt“ wagt nun die Frage nach unserem heutigen Blick auf jüdische Identität, auf das Fortwirken deutscher Geschichte und die Politik Israels.

Einführung und Gespräch: Sigurd Paul Scheichl

27. November 2015

Joseph Zoderer, Erzähler in europäischer Tradition, aber ohne Formel einer Erzählgrammatik oder eines Weltwissens, gehört zu jenen Autoren, die die menschliche Existenz mit aller Kraft des Trotzes und aller Kraft der Hingabe zum Mittelpunkt der epischen Dramatik machen. Sie immer wieder im Glück und im Unglück der Einsamkeit darzustellen, wird Joseph Zoderer nicht müde und die Frage, wie seine Helden zumindest episch zu retten sind, sucht diesr Melancholiker der Zerrissenheit zu lösen, indem er alles Gedankliche in ein Erzählen überführt und dem Erzählen einen lebbaren Sinn abtrotzt. Zu seinem 80. Geburtstag lädrt Literatur Lana zu einem ganz und gar literarischen Abend mit und zu Joseph Zoderer ins Batzenhäusl in Bozen ein.

Mit Sabine Gruber, Beatrice von Matt, Sigurd Paul Scheichl und Josef Winkler.

16. November 2015

Als der Roman „Wer ist Martha?“ von Marjana Gaponenko (*1981) erschien, löste er einen Sturm der Begeisterung aus. Ein „grandioses Fest“ wurde er genannt, ein „Jubel über die Schöpfung und ihre Wunder“, ein „ poetischer Schelmenroman“ und ein „hinreißender Genussroman“.

Wer Martha ist, wird hier nicht verraten, aber über Luka Lewadski kann Folgendes gesagt werden: Er ist Ornithologe aus der Ukraine und Verfasser einer bahnbrechenden Studie. Über seinen Forschungen ist er in die Jahre gekommen und 96 geworden. Viel Zeit bleibt nicht mehr, sagt der Arzt. Und die will gut genutzt sein, sagt sich Lewadski. Also reist er nach Wien, steigt im noblen Hotel Imperial ab und lernt dort einen Altersgenossen kennen, dem der Lebensfaden auch schon kurz geworden ist. Wie die beiden Alten aus der Muppet Show in ihrer Loge sitzen die zwei beim Früchte-Wodka in der Hotelbar, kommentieren die Frisuren der Damen, rekapitulieren das mörderische vergangene Jahrhundert und träumen von der Revolution. Wer ist Martha? ist ein wunderbar kühner Roman und großes Kino. Es geht um die Freude am Dasein, die Würde des Menschen, die Liebe zur Schöpfung. Marjana Gaponenko verhandelt diese und auch noch die letzten Dinge auf ihre eigene Art: so phantastisch und originell, lebendig und frech, dass sich selbst noch der Tod darüber kaputtlacht.

26. August 2015

2015 finden die Literaturtage von Lana zum 30. Mal statt; sie feiern also ein Jubiläum und mehr noch eine Geschichte, die sich einstellt mit dem Lauf der Dinge und der Jahre und da, plötzlich, nach einem Anfang und einer Folge erzählbar wird. Die Folge entspricht freilich weniger einem Programm, keinem Plan oder Etikett. Eher ist sie ein Prozess, in dem ein Ereignis ein nächstes nach sich zieht oder ein Gespräch ein weiteres in Gang setzt und es von Mal zu Mal fortsetzt, selbst wenn es einen Faden verliert oder die Wiederholung von Fragen übt, selbst wenn es an kein Ende kommt oder über Lücken springt. 

Jedoch hat das literarische Gespräch, das Lana über die Jahre unterhält, stets versucht, die poetischen Möglichkeiten von Sprache im Blick zu behalten, und hat dabei in vielen Spielarten erprobt, welche Erfahrungen so ein Sprechen eröffnet, wenn es Grammatik und Gestalt der Realität moduliert. Oder, als immer wieder gewagtes Abenteuer der Gegenwart, dem Traum eine Wirklichkeit verleiht, der Wirklichkeit den Traum hinzufügt. „Dass Erde faktisch Himmel ist – Ganz gleich ob‘s Himmel gibt.“ (Emily Dickinson) 

Lana hat diesem Realitätssinn der Sprache kontinuierlich nachgespürt, hat wachsam darauf geachtet, welches Denken sie manifestiert und welche Welt sie in Szene setzt. „Daß die Wortwörtlichkeit der Sprache alles ist, was wir haben, und daß wir uns dagegen wehren müssen mit allem, was wir haben.“ (Paulus Böhmer)

Wer auf diese Weise in ein Verhältnis zu Sprache tritt, sucht sie auf in ihrer ganzen Fülle und ganzen Stille. Aber er stellt sie auch kontinuierlich auf die Probe und in Zweifel und hütet sich davor, Welt erklären oder nachstellen zu wollen oder sie zu beschreiben, wo Welt die Worte zurückweist. „Jenseits des Ichs des Künstlers erstreckt sich eine schwere, dunkle, aber reale Welt. Man darf nicht aufhören zu glauben, dass wir diese Welt in Worte fassen, ihr Gerechtigkeit widerfahren lassen können.“ (Zbigniew Herbert) 

Dass ein Festhalten am Wort, wie es die Literatur trotz allem versucht, so schwer zu bewahren ist, macht es noch kostbarer und notwendiger, den Worten ihren Platz zu geben. Das hat Lana immer wieder getan. Dass auch das Umgekehrte gilt, dass nämlich die poetische Sprache, zur Rede gestellt, sich immer als Welt zu entfalten weiß, auch das war mit jedem Gastspiel in Lana aufs Neue zu erleben. 

Nun wollen die Literaturtage Lana beschwingt ihre Geschichte fortsetzen: In einem vielstimmigen poetischen Reigen, in Erzählungen und Gesprächen und ganz besonders in einem Fest, das Gäste, Freunde, Dichterinnen und Bücherwürmer zusammen führt. 

Und wem zu so viel lustvollem Revuepassierenlassen etwa ein Wandern einfällt, der schließe sich Oswald Egger an, der das Festival vor einer halben Ewigkeit ins Leben rief und nun zu einer Exkursion in das Nonstal lädt. Dort, wo Fuchs und Hase, Herkunft und Zukunft einander gute Nacht sagen, mag vielleicht noch etwas zu erfahren sein über das Singen der Sprachen jenseits der Lieder und über die Fundamente jener „Wiesenfabrik“, mit der vor 30 Jahren alles begann. 

Kuratiert von Theresia Prammer und Christine Vescoli

28. Mai 2015

1978 starb N. C. Kaser, der eine Dichtung von untrüglich kompromissloser und risikofreudiger Kraft schuf und damit weitab von Anerkennung und Establishment stand. 10 Jahre nach seinem Tod wurde von Paul Flora, Markus Vallazza und Paul Valtiner sowie den Bücherwürmern in Lana ein Lyrikpreis ins Leben gerufen und er wurde nach dem Dichter von schillernder Sprachwut und nahezu überhitzter Sensibilität benannt. Fast 30 Jahre nach der ersten Vergabe hat das Anliegen des N.C. Kaser-Lyrikpreises nichts an Notwendigkeit verloren: „es bockt mein herz" hatte Kaser geschrieben und so hält der Preis von Lana Ausschau nach einer Dichtung, die Anspruch auf politischen oder gesellschaftlichen Widerspruch erhebt und ihn einlöst durch ein präzises Formbewusstsein für neue ästhetische Möglichkeiten. Das tut sie bei aller Experimentierfreude dadurch, dass sie, wie Cezanne meinte, nicht genug in die Tradition zurück blickt, um daraus innovative Wege einzuschlagen.

19. April 2015

„Im Grunde sind wir alle Improvisatoren", sagt der Flötist Norbert Trawöger und weiß das auch in die Tat umzusetzen: Dem Wunsch folgend, „aus dem Moment heraus" zu spielen und der Neugierde, sich dabei selbst „von außen zuzuhören", fand 2012 die Aufnahme von 21 frei improvisierten Flötenstücken statt. „Luftikusse" hat sie der Schriftsteller Christian Steinbacher genannt und im besten Sinne auf das Gehörte reagiert: 21 Gedichte und Umrankungen sind entstanden, teils ergänzt um schriftliche Kopf-, Fuß- und Mittelstücke und lose verbunden durch eine Zitatensammlung gefundener Textstellen, denen allesamt das Wort „Flöte" gemein ist. Und nicht, weil aller guten Dinge drei sind, sondern aus der Idee heraus, das Doppelspiel von Musik und Literatur gleichsam etwas aufzulösen, wurden die beiden Kunstformen um eine dritte, bildnerische Position ergänzt: die Werke der Künstlerin Brigitte Mahlknecht. Daraus entstanden ist ein Dreiklang der einzelnen Elemente, der ein neues Verhältnis der künstlerischen Ausdrucksformen zueinander herzustellen vermag und die Methode und Tradition des Experimentellen weiter führen.

In der Museumgalerie in Bozen wird das Buchprojekt, das in Anliegen und Methode ein experimentelles Projekt ist, mit Dichter Christian Steinbacher, dem Flötisten Norbert Trawöger, dem Verleger Virgil Guggenberger und der Künstlerin Brigitte Mahlknecht vorgestellt.

17. April 2015

Er gehörte zu den kühnsten und konsequentesten deutschen Dichtern der 1980er und 90er Jahre und rückte der Sprache heftig auf den Leib, er klopfte sie auf ihre feinsten Spuren aus Klang und Sinn hin ab." Überwach kehrte er hervor, was sie an historischen und ideologischen Schichtungen lagert, was sie an Rotwelsch und Slang, an Pathos und Gosse speichert oder was sie an Glibbermeer, Wespengelächter oder Nikotingardinen hör- und sichtbar macht. Wenn er seine Dichtung dabei auf die lauten wie leisen Temperaturen stimmte und auf die kleinsten Bewegungen der Sprache setzte, war immer die unstete Lust des poetischen Störenfrieds am Werk, die Sprache neu erfahrbar machte.

Vor 10 Jahren ist Thomas Kling mit nur 47 Jahren verstorben. In Erinnerung an den Dichter, der oft Gast der Bücherwürmer war, ist ihm ein Abend in Lana gewidmet.

26. März 2015

Honoré de Balzac (1799–1850) bildet zusammen mit Stendhal und Flaubert das Dreigestirn der großen Realisten in der französischen Literatur. In seinem Romanzyklus „Die menschliche Komödie“ zeichnet er mit scharfem Blick für die menschlichen Eigenschaften ein Bild von der Gesellschaft im Frankreich seiner Zeit.

Verlorene Illusionen ist eine bitterböse Satire auf das Treiben der Menschen, ein virtuoses Gemälde von Aufstieg und Fall, von Provinz und Hauptstadt, von Adel und Geld – einer der schönsten Romane der Weltliteratur in neuer Übersetzung.

Lucien, der gutaussehende junge Schöngeist aus der Provinz, tappt in Paris in so manche Falle, ehe er sich mit geliehenem Geld neu einkleidet und die Mechanismen des Ruhms zu studieren beginnt. Die Dichtung bringt ihn nicht weiter, erst als Zeitungskritiker kommt er zu Geld – und zu einer schönen Geliebten. Dann aber verstrickt er sich in Intrigen. Meisterhaft schildert Balzac Menschen und Machenschaften, Schauplatze und Atmosphäre im Frankreich der Restauration, mit dem unbestechlichen Blick fürs Fragile und Verlogene, für die vielfaltigen – und heute noch gültigen – Spielarten der menschlichen Komödie. Melanie Walz hat für ihre Neuübersetzung einen elegant treffenden Ton gefunden. Mit ausführlichen Anmerkungen und einem Nachwort erhellt sie auch die Hintergründe von Balzacs großartigem Roman.

20. März 2015

Als 1875 der Roman „Madame Bovary“ von Gustave Flaubert erschien, wurde er nicht nur zum Skandal in einer Zeit bürgerlicher Biederkeit, der es „wegen Unmoral“ bis vor Gericht brachte. In der Radikalität der künstlerischen Form avancierte er bald auch zur „Formel des modernen Romans“ (Émile Zola), die durch ihren Stil „unsere Sicht der Dinge beinahe ebenso erneuert wie Kant“ (Marcel Proust).

Emma Bovary ist eine der faszinierenden Frauen der Weltliteratur. Sie lebt in der Provinz und träumt von großer Leidenschaft, großer Liebe und großem Leben. Gelangweilt von ihrer Ehe mit dem Landarzt Charles, sieht sie die ersehnten Erregungen bald im Ehebruch. Doch weder der blasse Kanzlist Léon noch der Provinz-Don-Juan Rodolphe kann ihrer immer weiter wachsenden Lebensgier genügen. Gustave Flauberts Roman ist beides: das hinreißende Drama einer Frau, die an ihrem eigenen Verlangen und an ihrer Umwelt scheitert, und das Werk, mit dem die moderne Literatur begründet wurde.

Elisabeth Edl, vielfach und mit großen Preisen ausgezeichnet, hat den Roman neu übersetzt und durch die vielsinnigen Feinheiten gezeigt, worin Flauberts unvergleichliche Modernität liegt, die einen neuen Begriff der Wirklichkeit für die Literatur schuf: der vom Leben, der Liebe und dem Sterben einer Frau so erzählte, als sei der Leser selbst dabei, vom ersten bis zum letzten Augenblick.

28. Februar 2015

Leben und Werk von Franz Tumler (1912-1998) durchzieht ein Schnitt, der die erste Karriere im Dritten Reich mit Distanz und deutlicher Reflektiertheit verabschiedet. Davon zeugen Romane wie „Der Schritt hinüber“, „Die Aufschiebung aus Trient“ oder „Der Mantel“, die in ihrer Bedächtigkeit und Beobachtungsschärfe zur deutschen Nachkriegsliteratur zählen.

Von dieser Nachkriegszeit stammen Texte, die ohne Zweifel eine durchaus zerrissene, zweifelnde Haltung der Moderne einnehmen. Beispiele davon sind in einem jüngst erschienenen Band versammelt.

Der Südtiroler Franz Tumler verbrachte die zweite Hälfte seines Lebens in Berlin. Dort war er Mitglied und Direktor der Akademie der Künste und teilte den Kneipentisch mit Gottfried Benn, Uwe Johnson, Günter Grass oder Peter Härtling. Seine Werke standen in einer Reihe mit den ihren. 
Dieser Band versammelt Essays, Erzählungen, Reportagen und Gedichte, die Berlin zum Thema haben, darunter auch unveröffentlichte Texte. Seine Themen sind vielfältig: von Zeit- und Alltagsgeschichte im geteilten Deutschland über das literarische Leben in Berlin bis zu Tumlers schriftstellerischer Wende hin zur erzählerischen Moderne.

2. Dezember 2014

Mit dem Roman "Die Mittellosen", ein Jahr nach seinem Tod erschienen, hat der ungarische Schriftsteller Szilárd Borbély ein Vermächtnis hinterlassen, das ein verstörendes Bild einer dörflichen Welt und ein düsteres Ungarn der 1960er und 70er zeichnet. In einer ungeheuren Sensibilität und literarischen Schönheit zeugt es aber genauso von der poetischen Kraft, die die stumme Welt der Erniedrigten und Beleidigten in leuchtende Sprache verwandelt.

 

10. November 2014

Auf dem Bahnhof in einer abgelegenen Provinzstadt wird eine Bombe gefunden. Ein Lehrer glaubt auf einem Fahndungsfoto seinen Lieblingsschüler Daniel zu erkennen, der sich nach einer Israel-Reise in religiöse und politische Phantastereien verrennt. Ist Daniel dem amerikanischen Endzeitprediger verfallen, der eines Tages in ihrem Ort aufgetaucht war und dann nach Jerusalem ging? Oder hat ein gemeinsamer Sommer den Jungen auf Abwege geführt, als der Lehrer und Daniel ganze Tage außerhalb der Zeit verbrachten?

17 Oktober 2014

Was bleibt von den Landschaften eines Lebens? Von den Bildern aus der Kindheit? Von den Eindrücken einer ursprünglichen Welt mit all ihren Schönheiten und Unbarmherzigkeiten? Ein Bild nach dem anderen nimmt Sepp Mall in den Blick - ein langsames Gehen, in dem sich die Gedichte zu einem poetischen Panorama aneinanderreihen. Unaufgeregt, präzise und immer wieder überraschend spürt er dabei den Wörtern nach, ihrem Klang, ihrer Atmosphäre, ihrem Geschmack, ihren Andeutungen und Verweisen. In der Mischung aus längeren, erzählerischen Gedichten und kurzen, verknappten Versen folgt Sepp Mall einer Wellenbewegung zwischen Narration und Poesie. Sanft lässt er das Prinzip der Aufzählung zum Tragen kommen, wechselt mühelos die Tonlagen und zeigt, wie vielfältig die sprachlichen Felder sind, auf denen er sich bewegt.

17. Oktober 2014

Mit dem neuen Buch unternimmt Matthias Schönweger wieder einmal nichts Geringeres als den Versuch, die Welt als Ganzes in Wort und Bild zu erfassen. „Er nimmt darin / Das Wort wörtlich / Und bildlich das Bild", heißt es dann. Und in der Tat häuft sich Bild um Bild und Wort um Wort wie im Magnetismus der Menge, um sich tollkühn zu einem totalen Weltbild aufzubäumen.

Was Wunder, wenn das so witzig wie wehmütig ist und am Ende ein trotziges Perpetuum mobile der Endlichkeit?

 

 

 

 

19. August 2014

Alljährlich im August wird Lana zum Schauplatz für ein Stell-dich-Ein der Dichterinnen und Dichter, der Leserinnen und Leser, ein Erkunden der Welt, das einher geht mit der Verwandlung von Welt ins Wort. Damit verbunden ist die Frage nach der Erzählbarkeit und vielleicht nicht weniger nach der Weltgeltung der Erzählung. Wie nämlich kann ein literarisches Schreiben ein Geschehen und Geschichte so bezeugen, dass es einerseits ihre Wiedererkennung ist und andererseits Evokation der (schweigenden) Welt? Was vermag also das Wort, das nicht Begriff ist und nicht Formel, das nicht Wissen belegen und ein Meinen behaupten will, sondern ein Gedankliches überführt in ein Erzählen?

Die Literaturtage von Lana, die in diesem Jahr zum 29. Mal stattfinden, setzen solche Fragen fort und knüpfen sie an eine Poetik des Sehens, an eine Grammatik der Bildlichkeit. Damit ist an die Fähigkeit des literarischen Worts appelliert, durch Anschaulichkeit ein Erkennen in Gang zu setzen, das plötzlich und unbeirrbar die Gegenwart der Dinge und Ereignisse wachruft und auf diese Weise Gedanken nicht abruft, sondern sie auslöst und ohne Scheu vor dem Widerstand des Unerklärlichen ins Offene entlässt. Durch die Kraft der Imagination und die Entfaltung des Bildes setzt Literatur, an einer Entformelung der Welt wirkend, deren Fabel fort.

„kein wort sei, wo das bild gebricht“?

Unter dem Leitbild des Sehens sammelt das Festival nicht nur literarische Beiträge von der Neuinterpretation des Familienromans als transkontinentales Fresko bis zu poetischen Bildfindungsprozessen, von der schillernden Prosaerzählung bis zur überraschenden Einsicht im Denkbild. Es setzt das „Theater der Bilder“ (Hans Belting) durch Vorträge, Bild- und Videogedichte sowie durch Einblicke in Form und Technik der Graphic Novel in Szene.

Kuratiert von Theresia Prammer und Christine Vescoli

30. und 31. Mai 2014
Wir haben ein Land aus Worten
Machmoud Darwisch

Dass die Bücherwürmer gerne über Grenzen schauen, ist bekannt: In den vergangenen Jahren haben wir uns intensiv mit den Literaturen des historischen Mitteleuropa auseinandergesetzt. Daneben waren Autorinnen und Autoren aus Russland und Polen, aus dem Iran, aus Norwegen, Schweden und Schottland, aus den baltischen Staaten und aus Australien bei uns zu Gast. Die Veranstaltung zur arabischen Poesie der Gegenwart ist nun eine Premiere: Zum ersten Mal rücken die arabisch sprechenden Länder im Nahen Osten und im nördlichen Afrika in unser Blickfeld. Die Lyrik ist dort das traditionsreichste literarische Genre und pulsiert heute vor Kraft und Leben. Sie ist unbequem, existenziell und experimentierfreudig - und entspricht ganz und gar nicht dem Klischee eines exotischen, geheimnisvollen und trägen „Orients", den der in Jerusalem geborene Literaturwissenschaftler Edward Said in seinem 1978 publizierten Buch „Orientalismus" als Erfindung des Westens denunziert hatte. Mit unserem Augenmerk betreten wir einen scheinbar unübersichtlichen Sprachraum, der, obwohl geographisch an Europa angrenzend, für uns eine terra incognita ist. Wir begeben uns mit der Veranstaltung also in unbekanntes Land, das wir, nach der Diktion des großen Dichters Machmoud Darwisch, entlang seiner Worte und Literaturen ermessen wollen. Nur wer die Erzählungen seiner Nachbarn kennt, kann mit diesen dauerhaft in Frieden leben: Diese Begegnung mit arabischer Poesie, die zweisprachige Lesungen mit Gesprächen über die Gedichte und ihre Einbettung in einen poetologischen und gesellschaftlichen Kontext verzahnt, will dazu beizutragen, die Gegenküsten des Mittelmeers neu zu verklammern, damit Sprache übersetzen und offen zirkulieren kann. Dabei ist angesichts der hinter entsperrten Türflügeln sich ausbreitenden Landschaften das Nachdenken über die eigene Geschichte und Identität möglich. „Identität ist grenzenloses Sichöffnen. Denn man ist nicht einfach dadurch man selbst, indem man einen besonderen Namen trägt, eine andere Sprache spricht, einer anderen Nation angehört. Nicht das, was man war, macht einen zu einem selbst, sondern das, was man noch werden kann. Identität ist entweder ein offener Entwicklungsprozess oder nichts weiter als ein Gefängnis", schreibt der aus Syrien stammende Dichter Adonis. „Werden" statt „Sein", so lässt sich diese radikale Position zusammenfassen, die in einem im Umbruch sich befindenden politischen und kulturellen Umfeld auf das Vielstimmige, mit einander Verflochtene, Veränderliche und Unvollkommene setzt - nicht nur in der arabischen Welt.

 

2. Mai 2014

Als die iranische Dichterin Forough Farrochsad 1968, kaum 32 Jahre alt, starb, hinterließ sie ein Werk, das trotz staatlichen Verbots bis in die Gegenwart hinein gelesen und weiter erzählt wird. So ungeheuer ist die moderne poetische Sprengkraft und so eindrücklich der Widerstand gegen eine konservative Gesellschaft und Moral, dass die Gedichte eine unbeirrbar künstlerische Radikalität erreichen. Heute gilt Farouch Farrochsad als eine der bedeutendsten Dichterinnen der persischen Moderne.

 

 

7. April 2014
Eine Dichtung wie eine Droge auf das Urteilsvermögen des Lesers.
Eugenio Montale

Andrea Zanzotto ist einer der großen Erneuerer der Lyrik im 20. Jahrhundert. Sein Werk ist, bei aller Radikalität, tief in der italienischen Tradition verwurzelt. Er war Freund der prägenden Künstler der italienischen Nachkriegszeit, wie Pasolini, Montale oder Luzi; er verfasste Gedichte und Libretti für Federico Fellinis Filme Casanova und Das Schiff der Träume.

"Dorfspiel" enthält früheste Gedichte, einige wenige aus der mittleren Periode und Gedichte aus dem letzten Band Conglomerati und vereint alle zentralen Themen und Leitmotive des umfangreichen Lebenswerkes: die Befragung der Geschichte, die Zerstörung der venetischen Landschaft vom Ersten Weltkrieg bis heute, die Betrachtung der Landschaft mit ihrem Dahinter. Vergessene Personen tauchen auf, Erinnerungen an die Kindheit, den Krieg, das Handwerk, Landschaften, Gedichte in verschiedenen Sprachformen - Hochsprache, Dialekt, vorsprachliches Gestammel.

 

07. April 2014

Ein neues Lebensgefühl, ein Fieber erfasst 1968 von Berkeley, Paris, Berlin, Rom und Mailand aus bis in die Kleinstadt-Hinterhöfe von Bozen, Meran und Bruneck hinein eine ganze Generation und wird zum Schwungrad, auch im engen Land der Berge für Freiheit, Recht und Gerechtigkeit einzutreten. Einige zerbrechen daran, verfallen in Depressionen, andere gleiten ab in terroristische Gewalt, wieder andere melden sich ganz und für immer ab vom gesellschaftlichen Engagement. In einer Collage aus subjektivem Erzählen, Tatsachenbericht und Dokumentation erzählt das Buch vom Aufschäumen und Zusammenbrechen dieses 68er Zeitgeistes.

„Ein nachträgliches Ich zeigt uns Haltungen eines vorgängigen, das, von einem Abseits aus, durch neue Sprachen und erhitzte Bewusstseinslagen stromert." Elmar Locher

„Nach bald 50 Jahren: Der Große Aufbruch im Spiegel des Südtiroler Mikrokosmos, in überraschenden Facetten, von Siegfried Nitz im Rollerball von Retrospektive, Reflexion und Erzählfreude virtuos aufgefächert." Hans Heiss

09. Februar 2014

Sabine Grubers Gedichte in bibliophiler Gestalt sind schlicht und zugleich höchst kunstvoll. Sie bestechen ebenso wie ihre Romane durch sprachliche Präzision und feine Lakonie. Mit einfachen Mitteln entlockt Gruber den Augenblicken des Alltags ihre poetische Kraft. In dezenten Versen bringt sie auf den Punkt, was ihr Blick einfängt, und verwandelt wie mühelos die Welt in Worte. „Die Sprache schneit, unablässig schneit sie / Neues hervor, wirbelt an den Rändern."

Elisabeth Reicharts poetische Sprache verdichtet sich in ihrem ersten Gedichtband zu Augenblicken der Schönheit und Liebe, zu Träumen und Trauer über deren Verlust. Zeit und Entfernung verschwinden in dieser Lyrik, die bekannte und unbekannte Orte bereist, sich in der Natur niederlässt, zwischen Frau und Mann, Armut und Reichtum, Abschiednehmen und Ankommen. Die thematische Reichhaltigkeit spiegelt sich wider in der sprachlichen Vielfalt, im Nebeneinander von dicht komponierten Gedichten und erzählender Lyrik, deren sinnliche Erfahrungen die Sprache vibrieren lassen.

09. Februar 2014

Was muss einer fürchten, was darf einer hoffen, der 1947 aus dem Exil nach Deutschland zurückkehrt? Ursula Krechel macht sich mit ihrem großen Roman »Landgericht« noch einmal auf Spurensuche. Die deutsche Nachkriegszeit, die zwischen Depression und Aufbruch schwankt, ist der Hintergrund der fast parabelhaft tragischen Geschichte von einem, der nicht mehr ankommt. Richard Kornitzer ist Richter von Beruf und ein Charakter von Kohlhaas'schen Dimensionen. Die Nazizeit mit ihren absurden und tödlichen Regeln zieht sich als Riss durch sein Leben. Danach ist nichts mehr wie vorher, die kleine Familie versprengt, und die Heimat beinahe fremder als das in magisches Licht getauchte Exil in Havanna. Ursula Krechels Roman lässt Dokumentarisches und Fiktives ineinander übergehen, beim Finden und Erfinden gewinnt eine Zeit atmosphärische Konturen, in der die Vergangenheit schwer auf den Zukunftshoffnungen lastet. »Landgericht«, der Roman mit dem doppeldeutigen Titel, handelt von einer deutschen Familie, und er erzählt zugleich mit großer Wucht von den Gründungsjahren einer Republik.

05. November 2013

Dass Camenisch seine Texte, die in viele Sprachen übersetzt und mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet wurden, nicht übersetzt, sondern auf Rätoromanisch und auf Deutsch schreibt, gibt ihnen ihren ganz eigenen Klang, in der Rauheit und Melodiösität, Kraft und Zartheit eine suggestive Verbindung eingehen. In Lana liest der Autor aus dem neuen Buch „Fred und Franz": Zwei Brüder räsonieren über den Lauf der Dinge, über die Liebe, das Finden und Verlieren, das Festhalten und Loslassen -tiefgründig, absurd-komisch und amüsant.Und mit der gleichen Originalität, mit der Camenisch seine Wort- und Bildersprache kreiert, trägt er auch seine Texte vor - oder wie es in der NZZ formuliert wurde: «Camenisch versteht es, seine Texte zu Ohren zu bringen; professionell, eingängig und rhythmisch packend.»

Mit Camenisch auf der Bühne ist der Bündner Sing- and Songwriter Pascal Gamboni (Gitarre und Gesang) - seine Lieder - auf Romanisch, Englisch und Französisch - bestechen durch ihre Klarheit und Schlichtheit.

23. Oktober 2013, 20.00 Uhr

„Schuldt kennt die fremde Welt draußen so gut, dass er sie phantastisch erweitern kann in seinem Buch „In Togo, dunkel und andere Geschichten." So schreibt die Süddeutsche Zeitung über das neu erschienene, schön gestaltete Buch. Darin ist die Rede vom japanischen Handel in Teddybären, die den Japanern so fremd waren, dass sie darin nie und nimmer ein Kuschelgefährt für Kinder entdecken konnten, sondern eher ein religiöses Bildwerk und es folglich kultisch verehrten. Oder es ist die Rede von den Cotorra Yucca am Orinoco, die nicht reden, sondern in vielgestaltig geformten Speisen sich verständigen. Oder es wird erzählt von den mürrischen Franzosen, für die Anfang des 18. Jahrhunderts aberwitzige Missverständnisse mit den Ureinwohnern der Westküste Afrikas Gefahren für Leib und Leben heraufbeschwören.

23. Oktober 2013

Eine der zentralen Figuren des New Yorker Undergrounds in den 1960-er Jahren, Freund von Andy Warhol und John Lennon, war Jonas Mekas. International bekannt geworden ist er vor allem als Experimentalfilmer und Fürsprecher des amerikanischen Autorenkinos. Er gilt als Pate des amerikanischen Avantgardekinos und war Gründer des großen „Anthology Film Archives" und der Zeitschrift „Film Culture". Heute gehört sein filmisches Werk zur allgemeinen Kunstgeschichte.

 

26. August 2013

Legendär bleiben die Auftritte H.C. Artmanns, des feixenden und Faxen treibenden Poeten aus dem 14. Wiener Gemeindebezirks, genial seine Texte zwischen Fisimatenten und Melancholie, unwiederholbar sein Literatur- und Lebenskonzept, das „unbeirrbar die Menschenrechte der Poesie, ihre Würde und ihren Eigensinn, behauptet und gelebt hat".

H. C Artmann (1921-2000) hat sich mit seinem Werk in die Literaturgeschichte des 20. Jahrhunderts eingeschrieben und sie so generös wie kühn um neue Möglichkeiten erweitert.

 

 

 

 

 

 

20. August 2013

"Dichtung, eine geahnte Füllung der Lücken in der Geschichte"

Achim von Arnim

„Poesie lebt", erklärt der polnische Dichter Ryszard Krynicki, durch die nie versiegenden Transfusionen aus dem Blutkreislauf längst verstorbener Spender. In der Erfüllung dieser Aufgabe sei sie „stärker als die Angst" und ausgestattet mit der „Stimme des Gewissens". Auf solch anspruchsvolle ethische Gestimmtheit soll kein Schatten fallen, wenn man dem wachsamen Gewissen eine andere, schwerer messbare, doch nicht minder bedeutsame Größe zu Seite stellt: jene des Ungewissen. Dieses Ungewisse ist aus poetischen Schöpfungen nicht wegzudenken und es korrespondiert mit dem Schlüsselbegriff, den Peter Handke im Vorwort zu seiner Auswahl aus dem Gedichtwerk des sorbisch-deutschen Schriftstellers Kito Lorenc in den Rang eines diagnostischen Kompasses erhoben hat: der poetischen Ahnung.

Die Literaturtage Lana, die sich im August 2013 zum 28. Mal jähren, nehmen solche mikroskopischen (Binnen-)Differenzierungen poetischer Intuition in Augenschein und entführen in ein „Sprachinselland" (Lorenc), „wo das spezielle Geschichtswissen übergegangen ist in etwas Universelles." Von der Ahnung ist die Rede als poetisches nicht weniger als poetologisches Moment, das in Bild, Klang und Rhythmus überführt und von dort auf unerklärliche, in der Zuwendung zum Inkommensurablen aber durchaus absichtsvolle Weise Evidenz und „Gegenwart" wird, „anders als die Vergegenwärtigungen selbst der lebendigsten Geschichtsschreiber" (P. Handke).
Diesem Anderssein sich auszusetzen, wo sich im witternden Wissen des poetischen Denkens geschichtliches Erkennen artikuliert, könnte die Aufgabe sein. Denn pars pro toto für die Ahnung ist nicht das Ähnliche, sondern dieses Andere, in dem Sein und Sagen, Geschehen und Erzählen so vergegenwärtigt werden, dass Gewahrwerden und Gewähr einer spezifischen Zeitweise der Haltung des Fragens, nicht des Behauptens entsprechen. Sie schuldet sich einer höchst präzisen, dabei intuitiven Empfindung und Wachsamkeit, die auch dafür Sorge trägt, dass ihr Wissen unverwaltbar und unverwendbar ist. Aufregend mag diese Subtilität sein, diffizil die Wahrnehmung und diskret die Sensation, in die Sprache und ihr Gedächtnis Eingang finden.

Was sich also als Ahnung konstituiert, leitet sich, nicht weniger als jede erklärende Geschichtsdarstellung, aus der Erinnerung her und ortet Zeitgenossenschaft ähnlich dem viel zitierten Angelus Novus von Walter Benjamin, von dem es heißt, er habe das Antlitz der Vergangenheit zugewandt, während er unaufhaltsam in die Zukunft treibt, der er den Rücken kehrt. Oder macht das Gedicht gar noch eine Drehung und wendet sich von Zeit zu Zeit von der Geschichte ab, um in ein Geschehen einzusehen, für das allein die ästhetische Erfahrung eine Form bietet? Eine Form des Wissen, die Verbindlichkeit bewahrt, auch wo sie sich so ungehörig zu Logik und Chronik des Diskurses verhält? „Dabei fiel Goldberg von einer Zeit in die andere und er nahm keinen Schaden" schreibt Konrad Beyer in „Der Sechste Sinn".

Auf den skizzierten Bahnen der Ahnung wollen wir, nicht zuletzt mit Hilfe der unermüdlichen Erinnerungsarbeit unserer Gäste, auch der Unbewusstheit des Kindseins und seiner „Jahre, die keiner zählte", näher kommen, „als wir unter alten Eichen spielten / und die Ewigkeit bei uns war", wie die polnische Dichterin Julia Hartwig den verlorenen Zustand beschwört.

Jedoch liegt zwischen dem Erinnernden und der Erinnerten die Erfahrung der Emigration, die in der Begegnung mit der eigenen Herkunft für die Zurückblickende eine noch viel größere Herausforderung darstellt. In den Kindheitsgedichten Ruth Klügers spricht sie sich qualvoll und unbarmherzig aus. Den Anspruch, dass das Singen nicht nur ein Sinnen und Trachten, sondern auch ein Sein sei, erfüllt Ruth Klügers Lyrik auf beklemmende Weise und wird darüber hinaus lesbar als „Ausweis schöpferischer Kraft unter quälenden physischen Bedingungen". (Julia Hartwig über Zbigniew Herbert)

Wenn also die Literatur und speziell das Gedicht Geschichte nicht erklärend oder nacherzählend verhandelt und Geschichtsschreibung gewiss nicht ist - worauf ruht das Zeitdenken des Gedichts? Wo ist sein Übergang in die besprochene Welt? Worauf richtet es seinen Spür-Sinn?

Wollen wir annehmen, dass das Gedicht nicht im Gehege von Aktualitäten verwaltbar und nicht von Zeitgeist umklammert ist. Wollen wir annehmen, dass es vielmehr im sprachlichen Substrat und als literarische Haltung aufzuspüren ist. Dann zeigte das Gedicht in der Zuwendung zum geschichtlichen Geschehen dessen Erzählbarkeit auf, die nicht in der Chronik der Ereignisse und auch nicht in ihrer Erfindung liegt. Aber in der Frage nach der Form, die die Verknüpfung von Ereignis und Erfindung darstellt. Wie immer sie auch Sprung, Bruch oder Aufbruch sein kann in Hinblick auf das Bisherige.
Ob nämlich, wie Eugenio Montale mutmaßt, jeder Generation eine gewisse Anzahl von Wörtern und Situationen beschieden ist, aufzubrauchen bis neue, kommende Dichter den auf sie zuschnellenden Ball des Nie-Dagewesenen aus der Luft auffangen?

 

7. Juni 2013

Am 7. Juni 2013 jährt isch zum 40 Mal der Todestag von Christine Lavant. Ihre Dichtung, gewachsen aus "Wermut und Wehmut" bezeichnete Thomas Kling als "Denkbewegung ins Unberechenbare" und in der Tat vermag diese Poesie das Machtvolle seelischen Geschicks so präzise und scharf auszuleuchten, dass sie zu einem literarischen Tafelbild des Menschlichen wird.

Zwischen Klarheit und Klage, Metaphernreichtum und Gegenständlichkeit entfalten die Gedichte der Lavant eine Faszination, die in der deutschsprachigen Lyriklandschaft des 20. Jahrhunderts ohnegleichen dasteht. Der literarische Betrieb zeigte sich von der kompromisslosen Kraft und Statur größtenteils überfordert und apostrophierte die Autorin bald als Epigonin Rilkes, bald als Prototyp der im literarischen Ausdruck nach Heilung suchenden Schmerzensfrau. Tatsächlich hat Lavant schon früh das Schicksal als Scheusal an sich erfahren müssen und litt lebenslang an den Folgen schwerer Krankheiten.

Doch wer meint, das Leid sei ihr Los gewesen und ihre Kunst nichts anderes als ein Befreiungsschlag, der verkleinert die Originalität und verkennt die visionäre Vitalität dieser Autorin, die "ohne Meister" zu einer Sprache gefunden hat, die nichts Ungefähres duldet oder durchgehen lässt und in keine romantisch-expressionistische Schablone passt. Formal versiert und belesen und doch verwurzelt im "brennenden Leben", verknüpfen Lavants Gedichte und Prosastücke die archaische Drastik volkstümlicher Bilderwelten mit rigoroser Bannkraft des Gedankens uns genügen dabei den äußersten Ansprüchen geradezu instinktiv. Vor allem die fast durchgehend gereimten, poetischen Texte tasten sich mit einer Nachdrücklichkeit, die der Erinnerung die Augen öffnet, an eine in sch stimmige "Bilderschrift" heran, die wir, mit Thomas Bernhard, als "elementares Zeugnis" bestaunen und die mehr denn je zu entziffert zu werden verdient.

12. April 2013

Jede Literatur sucht ästhetisch und thematisch nach ihrem Verhältnis zur Geschichte, auch zur zeitgenössischen. Geschichtsschreibung übt sie damit nicht, auch unbewusst nicht. Aber sie stellt sich als Sinnstiftung von Fiktion und Faktizität dar und reflektiert die Geschichte durch deren Verwandlung in Erzählung und Poesie.
Die Reihe „Literaturen" stellt aktuelle Literaturen mehrerer Länder vor und gibt einen Blick auf deren Situationen und Gesellschaften frei. In Lesungen und Diskussionen kommen Stimmen zur Sprache, die politische, soziale und existentielle Erfahrungen in literarischen Sinn umsetzen und dabei die Macht oder Ohnmacht, die Freiheit und Rolle von Literatur mit reflektieren.

Mit einem russischen Autor die kraftvoll und risikoreich ein literarisches Sprechen in Gang setzt, eröffnet LIteratur Lana die Reihe "Literaturen".

 

Sankya, der jugendliche Held dieser mitreißenden Geschichte von Revolte, Liebe und Verrat, ist Mitglied einer militanten regimekritischen Gruppierung. Nach heftigen Krawallen in Moskau ist ihm die Sicherheitspolizei auf der Spur. Er flieht aufs Land und lebt vom spärlichen Gehalt der Mutter, die unter schlechtesten Bedingungen in einer Fabrik arbeitet und dem Leben ihres Sohnes völlig verständnislos gegenübersteht. Bald glaubt Sankya sich sicher und nimmt wieder Kontakt mit seiner Freundin auf – doch er gerät in einen Hinterhalt und wird verhaftet. Im Gefängnis wird er Opfer von Folter und Erniedrigung. Was Spiel war, ist plötzlich blutiger Ernst.

Prilepin, der mit diesem sozialrealistischen Roman an Gorkis ›Mutter‹ anknüpft, kritisiert bestehende Verhältnisse und zeigt drastisch die Dynamik der politischen Radikalisierung und die fatalen Folgen von Gewalt.

29. März 2013

Seit den 1980er Jahren gehört Christoph Ransmayr zu den wortgewaltigsten Stimmen der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur; unentwegt bereichert er sie um eine hoch komplexe Verwebung von literarischer Archäologie, topographischer Erkundung, psychologischer Vermessung und poetischer Erfindung. Von der Realerfahrung präzise bestimmt, aber weitgehend auch wieder entlastet, treibt Ransmayr ästhetisch eine Erkenntnisfindung voran, die Seins- und Schreibweise einander anverwandelt.

Mit dem neuen Buch "Atlas eines ängstlichen Mannes" ist Christoph Ransmayr abermals ein literarisches Werk gelungen, das in Sammlungen von 70 Episoden und Reiseskizzen, Erinnerungen und Berichten die Erzählkunst zwischen Tradition und Erneuerung souverän erprobt und weitertreibt. Dafür wurde dem Autor neuerdings der Ernst-Troller-Preis zugesprochen, für das ihm neuerdings der Ernst-Troller-Preis zugesprochen wurde.

Ein großer erzählter Weltatlas. Der „Atlas eines ängstlichen Mannes" ist eine einzigartige, in siebzig Episoden durch Kontinente, Zeiten und Seelenlandschaften führende Erzählung. „Ich sah...", so beginnt der Erzähler nach kurzen Atempausen immer wieder und führt sein Publikum an die fernsten und nächsten Orte dieser Erde: In den Schatten der Vulkane Javas, ins hocharktische Packeis, an die Stromschnellen von Mekong und Donau und über die Paßhöhen des Himalaya bis zu den entzauberten Inseln der Südsee. Wie Landkarten fügt sich dabei Episode um Episode zu einem Weltbuch, das in atemberaubenden Bildern Leben und Sterben, Glück und Schicksal der Menschen kartographiert.

29. März 2013

Die Reihe „Literaturen", die durch das Jahr 2013 der Bücherwürmer führt, beleuchtet die Frage, in welchem Verhältnis die Literatur zur Geschichte, auch zur Zeitgeschichte, steht und wie sie diese in Erzählung und Poesie verwandelt. Durch Lesungen und Diskussionen gibt die Reihe einen literarischen Blick auf Gesellschaften und Politik der unterschiedlichen Länder frei und reflektiert dabei auch Macht und Ohnmacht, Freiheit und Rolle der Literatur, speziell in Ländern, in denen die demokratischen Rechte und Strukturen nicht immer so gefestigt sind wie in den meisten westeuropäischen Staaten.

29 März 2013

„Wir wollten auf jeden Fall leben und nicht nur überleben, Wege finden und nicht nur Auswege. Wir stellten uns vor, wir wären Don Quijote, denn der Wahnsinn schien die einzige normale Möglichkeit."

In seinem neuesten, einem virtuosen literarischen Werk verknüpft Péter Esterházy die Freiheit des Sprachspiels mit historischem Stoff und schafft so ein „Portrait des Autors als junger Mann", in dem er in Witz und List, wie nebenbei, das aktuelle Ungarn frech abserviert.

05 Februar 2013

Als 1989 der Grödner Franz Josef Noflaner starb, nahm ein kleiner Kreis von Freunden und Künstlern Abschied von jemandem, der ein literarisches und künstlerisches Schaffen unter hehre selbstbewusste Ansprüche gestellt und dabei Zeitgeist und Zeitgenössisches störrisch, anachronistisch und raffiniert gequert hatte.

Mit einer Lesung einiger beachtlichen Texte stellen wir einen Dichter in den Mittelpunkt, der amüsant und mitunter rätselhaft große Themen der Literaturgeschichte aufnimmt.

5. Februar 2013

2008 riefen die Kulturtage von Lana unter dem Titel „Archäologie der Phantasie" ein kulturelles Bildgedächtnis Südtirols neu ins Bewusstsein. In innovativer Beleuchtung  versuchte das Symposion jene bildlichen Stoffe zu erschließen, aus dem eine historisch weit entfernte Phantasie die Wirklichkeit adliger und klerikaler Gesellschaftsformen imaginierte.

Nun ist der Band mit den wissenschaftlichen Beiträgen des Symposions erschienen. Er erkundet aus mediävistischer Literatur-, Kunst- und Kulturwissenschaft ein Bildgut, dem die Imagination als wesentlicher Schlüssel des Verständnisses zukommt und das den Blick auf vormoderne Wahrnehmungstheorie ermöglicht.

Beiträge von Leo Andergassen, Ruth Baumer, Jörg Jochen Berns, Ingo Breuer, Manfred Eikelmann, Luca Farulli, Elmar Locher, Björn Reich, Gerd Reichardt, Hans Jürgen Scheuer, Almut Schneider, Ellen Strittmacher, Reinhard Steiner, Ulrich Stadler und Anita Traninger.

Archäologie der Phantasie. Vom "Imaginationsraum Südtirol" zur longue durée einer "Kultur der Phantasmen" und ihrer Wiederkehr in der Kunst der Gegenwart. Herausgegeben von Elmar Locher und Hans Jürgen Scheuer. Edition Sturzflüge. StudienVerlag, 2012

 

05. Februar 2013

2011 wurde die slowenische Österreicherin Maja Haderlap mit dem Bachmann-Preis ausgezeichnet. Der Text, den sie vortrug, war ein Auszug aus dem Roman, der wenig später unter dem Titel „Engel des Vergessens" erschien. Er wurde sofort mit überschwänglichem Lob der Kritik, mit Begeisterung der Leser und Leserinnen und mit dem Rauriser Literaturpreis belohnt. Nun stellt die Autorin den Roman auf Einladung der Bücherwürmer und der Bibliothek in Lana vor.  Es ist ein Romandebüt, das mit kraftvoller Poesie von einem Leben in der Mitte Europas erzählt: Geschichten, die uns im Innersten betreffen.

»Maja Haderlap hat eine gewaltige Geschichte geschrieben... Die Großmutter wie noch keine, der arme bittere Vater wie noch keiner, die Toten wie noch nie, ein Kind wie noch keines.« (Peter Handke)

»Es ist eine ewige Geschichte zwischen Vater, Tochter, Enkelin und Großmutter. Es gibt da gewaltige Stellen: der Vater, der als Kind zu den Partisanen gegangen ist und als Heranwachsender nicht mehr weiß, zu wem er gehört. Er hat einen Stolz und kann ihn nicht leben. Oder die Großmutter, die im KZ war: Das sind Geschichten, die man in Österreich überhaupt nicht kennt und die nach 70 Jahren endlich erzählt werden. Dann gibt es Passagen, in denen sie ihr eigenes Leben schildert, wie sie von zuhause fortgeht, studiert, ihr Leben lebt. Es ist eine herzergreifende Geschichte.« (Peter Handke, News, 28/2011)

»Engel des Vergessens« ist ein Zeitdokument von hoher poetischer Kraft, eine Recherche in den Tiefen der Geschichte, die die Beteiligten immer noch im Griff hat. ... Die Stärke von Maja Haderlaps Roman liegt gerade darin, dass er tief in die Zeiten zurückgeht, um die Gegenwart erkennbar zu machen. Er ist aus einer autobiografischen Erfahrung heraus geschrieben, die sich so wenig simulieren lässt wie in Peter Handkes themenverwandtem »Immer noch Sturm«. (Paul Jandl, Literarische Welt, 16.07.2011)

»Engel des Vergessens« ist weit mehr als eine ethnische und politische Leidens-Saga aus der europäischen Peripherie. Der Roman lässt eine übersehene und vergessene Region in aller kleinteiligen Dichte und Farbigkeit erstehen und erzählt aus der Sicht eines wachen, phantasievollen und aufmerksamen Mädchens die höchst komplexe, poetische, schwierige, bittere und liebevolle Binnengeschichte einer bäuerlichen Familie, die durch ungeahnte Zeitwenden hindurchgeht und von lautlosen, aber gewaltigen Modernisierungsschüben durchgerüttelt wird.« (Sigrid Löffler, Radio Bremen, 16.08.2011)

»Da weht schon mehr als nur der Geist Peter Handkes durch die Seiten. ... Aus »Engel des Vergessens« spricht ein glaubhafter Schmerz, der in die Gegenwart hinein reicht.« (Christoph Schröder, Süddeutsche Zeitung, 14.07.2011)

»Beeindruckend und bedrückend ist der Kampf, den Maja Haderlap, die eben den Ingeborg-Bachmann-Preis erhalten hat, in ihrem Roman »Engel des Vergessens« mit den Schreckensbildern ihrer Kindheit führt.« (Ulrich Greiner, Die Zeit, 21.07.2011)

12. Dezember 2012

In seiner 12. Ausgabe kommt der N. C. Kaser Lyrikpreis auf Vorschlag von Oevind Rimbereid dem Schotten Tom Leonard zu.

Von den Gedichten Tom Leonards gab es bisher keine deutsche Version. Mit dem 12. N. C. Kaser-Lyrikpreis wurden sie zum ersten Mal ins Deutsche übersetzt: Ulf Stolterfoht legt sie im Hochdeutschen vor und Joseph Oberhollenzer transportiert die im Dialekt von Glasgow geschriebenen Gedichte so in den Töldra-Dialekt, dass sie in einer melodiösen und rhythmischen Strenge eine Kraft voll poetisch reduktiver Wehmut entwickeln.

26. November 2012

Mit einem unbestechlich ernsten Ton, der ein Erzählen der Langsamkeit und der ästhetischen wie gedanklichen Präzision fundiert, machte der österreichische Autor Reinhard Kaiser-Mühlecker (*1982) in seinen bisherigen Büchern auf sich aufmerksam. Ohne spektakuläre Geschichtsträchtigkeit, auch ohne Versuch der Re-Etablierung des Einfachen zeichnet er die diffizilen Verästelungen kleinbürgerlich-provinzieller Verhältnisse und erhebt, was vom Verschwinden bedroht scheint, sensibel genug zur Poetisierung. Damit führt er eine Tradition und Poetik des Regionalromans fort, die nach dem Entwurf einer Anti-Idylle, nach der Faszination der "Ästhetik des Bösen" und nach der Akklamation der "Authentizität" durch eine beeindruckende neue Stimme bereichert wird.

Der vierte Roman von Reinhard Kaiser-Mühlecker, "Roter Flieder", ist die bäuerliche Tragödie der Familie Goldberger, geformt aus der Geschichte des Zwanzigsten Jahrhunderts, seinen Hoffnungen und Wirren.

 

29. September 2012

In dem Gedichtband „Massenhaft Tiere" lockt Mikael Vogel (*1978) aus Berlin auf eine lyrische Fährtenlses durch die Welt der Tiere, durch die Lüfte, unter die Erde und in die Abwasserrohre, in die Massentierhaltungen, die Tattoos und Zoos. In einem Netz von Assoziationen, Bildern und Du-Bezügen zieht er eine klare, sprachbewusste Spur poetischer Aussage, die Traditionslinien von Blake bis Mayröcker aufgreift und - wie im Fall der Tiergedichte und Tierfiguren des letzten Bandes - aphoristisch, witzig und mitunter listig in die facettenreiche Rede des Tiers einsteigt.

Dagegen transportieren die Miniaturen von Andreas Neeser - Kürzestgeschichten, Gedichte und Notate im Band „Die Sonne ist ein nasser Hund" - eine Kargheit, die auf phantastischen oder experimentellen Bezugsreichtum verzichtet. Sie bewegen sich austariert sicher zwischen dem Ausgesparten des Sagens und der reduktiven Form des Sagens und suchen darin das Wesen der Kleinen Form.
Mit den einfachen Wörtern, den knappen Sätzen, den verdichteten Zeilen gelingt es dem Autor in einer Vielschichtigkeit, die nicht zuletzt im Ausgesparten zum Vorschein kommt, Assoziationsräume zu öffnen.

 

 

4. September 2012

Seit der Finanzkrise 2008 treibt die Welt die Frage um, was denn Geld sei. Und die Frage sei zu ernst, meinen einige, als dass man sie ausschließlich den Ökonomen überlassen könne. Selbst in den ökonomischen Modellbildungen ist die Frage nach dem Geld nicht eindeutig zu beantworten.
Es verwundert daher nicht, dass sich auch die Kulturwissenschaft vermehrt um die Frage kümmert. So erscheint 2010 Joseph Vogls Das Gespenst des Kapitals. Das Werk des Berliner Germanisten und Kulturwissenschaftlers hat großes Aufsehen erregt und ist in seiner Annahme der Chaos-Moral des Kapitalismus, die untauglich sei für eine vernünftige oder gerechte Organisation der Gesellschaft, ebenso angegriffen wie begeistert gelesen worden. Dem Zusammenhang von Schuld und Schulden geht Vogl in jüngsten Diskussionen nach, die auch in Lana aufgegriffen werden sollen.

Dass nun gerade die Literaturwissenschaft sich intensiv der Frage nach der Verbindung von Geld, Kredit und Poesie widmet, mag auf einen ersten Blick verwundern. Ein zweiter aber macht deutlich, dass es in der Poesie um die Diskussion des Zeichencharakters von Sprache geht und dass auch der Status des Geldes in zeichen- bzw. medientheoretischen Modellen verhandelt werden muss. Das ist allerdings nicht erst eine Bemühung nach der Krise von 2008, vielmehr verstärkt der Übergang vom 18. ins 19. Jahrhundert die Diskussion um den Zeichencharakter der Poesie und den Zeichencharakter des Geldes in der politischen Romantik. Goethe wird dann im Faust II den immer noch gültigen großen geldtheoretischen Entwurf vorlegen. Im Übrigen gilt Goethe als einer der großen Geldtheoretiker. Aber auch bei Novalis finden sich geldtheoretische Überlegungen und die Ästhetik Jean Pauls ließe sich auch in geldtheoretischer Begrifflichkeit fassen. In diesem Kontext erfährt nun auch Adam Müller, der allzu oft nur als die schwarze Seele Heinrich von Kleists und als der reaktionäre Interessensvertreter des Junkertums gedeutet wurde, neue Beachtung. Adam Müller erscheint auch in der Bewertung von Joseph Vogl und Jochen Hörisch als ökonomischer Denker, der als erster die neue Erscheinungsform des Geldes als Kreditform erkannt hat.

Von einem der profiliertesten Literaturwissenschaftler Deutschlands, von Jochen Hörisch von der Universität Mannheim, erschien 1996 die Aufsatzsammlung Kopf oder Zahl. Die Poesie des Geldes. 2004 folgte sein Buch Gott, Geld Medien. Fasziniert vom paradoxen Medium Geld geht Jochen Hörisch dem Spannungsverhältnis von Geld und Geist, von Geld und Gott, Hostie und Münze nach und findet in der Sphäre des Geldes viele religiöse, aber auch erotische Begierden und einen dementsprechenden Paradigmenwechsel in der ökonomischen Theoriebildung. Die Frage, was Geld eigentlich sei, sieht Hörisch vielfach auch bei Goethe beantwortet.
2004 erscheint auch der gewichtige Band von Eske Bockelmann Im Takt des Geldes. Zur Genese modernen Denkens, der moderne Denkformen auf die Erscheinungsformen des Geldes zurückführt und die Konstitution der Subjekte durch den Markt und die von ihm erzwungene Geldhandlungen bestimmt. 2011 veröffentlicht der Schweizer Soziologe Aldo Haesler, der an der französischen Universität Caen in der Normandie lehrt, den Band Das letzte Tabu. Ruchlose Gedanken aus der Intimsphäre des Geldes und betrachtet dabei Geld nicht als nationalökonomischen Gegenstand, sondern als letztes soziales Band einer vollends individualisierten Gesellschaft.

04.09.2012, 20.00 JOCHEN HÖRISCH: Die öffentliche Hand in Thomas Manns ›Königliche Hoheit‹

20.09.2012, 20.00 ALDO HAESLER: Entmaterialisierung des Geldes

24.10.2012, 20.00 ESKE BOCKELMANN: Im Takt des Geldes

„Du kannst von mir aus, wenn du willst, das Geld abschaffen, aber du wirst nicht abschaffen die Übermacht desjenigen, der die Vorteile in der Hand hat. Nur wirst du einen, der nicht mit ihnen umgehen kann, an die Stelle dessen setzen, der es gekonnt hat! Denn du irrst, wenn du glaubst, dass das Geld die Ursache unserer Ichsucht ist, es ist ihre Folge.“ (Robert Musil: Der Mann ohne Eigenschaften)

20. August 2012

2000 erschien der Essay „Die exilierte Sprache“ von Imre Kertész. Darin bezeugt der spätere Nobelpreisträger sein unerbittliches Nachdenken über das Überleben nach dem Holocaust und über die Bedeutung des Exils für ein Weiterleben der Ausgewanderten oder Vertriebenen. Das Denken, das aus solchen Erfahrungen entsteht, bedingt ein skrupulöses Sprechen; ein Sprechen, das misstrauisch beäugt, was Sprache tut und wie sie als gesellschaftliches Instrument Sinn, Unsinn und Irrsinn bestimmt, wie gleichmütig sie Zugehörigkeiten und Ausgeschlossenheiten zuweist. Ein solches aus der gehörigen Sprache ausgewanderte Sprechen entzieht sich einer verhängten Herrschaft von Sprache; es lässt erst wieder entstehen, was „wundgerecht“ Sprache ist.

Der Titel von Kertész steht verborgen Pate für die 27. Literaturtage von Lana. Ebenso liegt ihnen der Titel der Erzählungen „Die Ausgewanderten“ von W.G. Sebald zugrunde, vier meisterhafte Exilgeschichten, die von vertriebenen Juden, von unbeheimateten, unzugehörigen Menschen handeln.

Mit dieser verborgenen Verschränkung der geborgten Titel folgt das Festival jener Spur, wo die Erfahrung von Exil und Vertreibung zur außerordentlichen Literatur wird und wo sie sich mit dem Denken über Sprache verbindet. Zu den großartigsten Beispielen zählen die Romane von Georges-Arthur Goldschmidt, der als Kind aus Nazideutschland vertrieben wurde und in Frankreich Rettung fand. Zu rarer Exilliteratur zählt auch der unendlich traurige, kaum wahrgenommene Roman „Die Gehetzten“ von Michel Matveev, ein verstörender Klagegesang zur Geschichte einer Flucht zur Zeit der russischen Pogrome von 1919. Oder es gibt die Bücher des in Kanada lebenden jüdischen Serben David Albahari, die wunderbar skurril und intelligent von der Absurdität undurchschaubarer Geschehnisse und innerer Emigration erzählen.

Wenn sich Sprache nicht mehr eignet zur Behauptung eines Besitzes und eines Selbstbewusstseins, wenn es einem wie Georges-Arthur Goldschmidt die Muttersprache lange verschlägt, weil sie auch die Sprache jener ist, die vielen seiner Familie den Tod gebracht und ihn aus seiner Heimat vertrieben hatten, dann wird offenkundig, dass Sprache auch ein bedrohliches Denken verkörpert und nicht mehr Bewusstseinwelt für alle ist. „(...) eine Sprache, je nun, ohne Ich und ohne Du, lauter Er, lauter Es, verstehst du, lauter Sie, und nichts als das“, schreibt der Exilant Paul Celan.

Ein Schreiben, dem die Macht der Sprache so spürbar wird, dass „sie mich ihren Erfordernissen unterwarf“ (Albahari), befördert konsequent ein Sprachdenken, das keine ungebrochene Beziehung zur Muttersprache unterhält. Es kommt über Umwege der Befremdung zu ihr. Auch über den Umweg der Fremdsprache. Doch: „Die eigene Sprache vor die Augen einer anderen zu halten führt zu einem durch und durch beglaubigten Verhältnis, zu einer unangestrengten Liebe“, schreibt Herta Müller. Über die Verwandlungen der Welt, die unter dem Blick mehrerer Sprachen geschehen, verwandelt sich, relativierend, die Einsicht der Muttersprache. Kaum einer reflektiert so leidenschaftlich und intensiv die Verschiedenheiten der Sprachen und ihre Zwischenräumen wie G.-A. Goldschmidt. In seiner Spur folgen Marco Baschera, Joachim Helfer und Theresia Prammer dem Thema der Mehrsprachigkeit als Lebenspraxis, Denkform und poetologisches Konzept, und das in einem zweisprachigen Land, in dem die Selbstverständlichkeit des zweisprachigen Lebens nicht immer sorglos ist.

„Mir ist, als wäre ich geschrumpft, seitdem ich meine Sprache nicht mehr spreche“, schreibt Albahari. In diesem Moment, wo sie für den Sprecher nicht mehr einhergehen kann mit einem Land, das Heimat ist, sondern nur Menschen hat, die sie sprechen, in diesem Moment hat die Muttersprache die Bedeutung der Selbstvergewisserung. Das gilt für Emigranten nicht weniger wie für Angehörige von Minderheiten. Florjan Lipus, Vertreter der slowenischen Minderheit in Kärnten, erzählt in „Boštjans Flug“ voll karger Wehmut und gebrochener Melodik von seiner Kindheit, die unauslöschlich von Verlust geprägt wird, nachdem die Mutter verschleppt und im KZ gestorben war, während der Vater in der deutschen Wehrmacht diente.

Wie vertrackt sich Leben und Dichtung in einem verklausuliert exilierten Sprechen nach der Erfahrung von Lager einerseits und in ethischen Fragen andererseits niederlassen, zeigt der Fall des Dichters Oskar Pastior, der als 17jähriger für fünf Jahre in ein ukrainisches Lager verschleppt worden war. Vier Jahre nach seinem Tod 2006 wurde eine Erklärung bekannt, in der er sich verpflichtete, Informationen an den rumänischen Geheimdienst zu liefern. Mit Ernest Wichner, Oswald Egger und Ulf Stolterfoht greifen die Literaturtage Lana eine Lektüre Pastiors auf, die es vor historischen Fakten und moralischen Fragen tunlichst meidet, dass das Werk Pastiors hinter sein Leben trete.

24. August 2012

Der autobiografische Roman von Michel Matveev (1892-1969) „Die Gehetzten" erzählt von einer Flucht ohne Ende und von einem Strafgericht, das über Menschen angehalten wird, deren Verbrechen es ist Juden zu sein. Es ist der Beginn eines der russischen Pogrome von 1919, denen eine Familie entkommt, bevor sie in die Fänge der rumänischen Sigurantza, der Vorgängerin der Securitate, gerät. Ihre Verzweiflung in den Haftanstalten und Asylen, die anschließende Irrfahrt über das Mittelmeer und ihr Elend in Paris erzählt der Autor aus eigenem Erleben in einer Form, die an biblische Texte ebenso wie an Kafkas Weltsicht erinnert: Die Figuren bleiben anonym, sind einem unkontrollierbaren Geschehen ausgeliefert, das sie mit einer tödlich-absurden Mechanik zermalmt. Ein großer, verstörender Klagegesang.

 

David Albahari zählt die NZZ mit vielen anderen „zu den Großen der Weltliteratur". In der Tradition Kafkas erstellt er Welten aus fiktionaler Wahrheit und Lüge. „Schreiben ist eine Art schönes Irresein", sagt der im Belgrader Judenviertel Zemun aufgewachsene Autor, der 1994 nach Kanada auswanderte, als ihm das politische Klima Serbiens zu eng wurde.
Erst im freiwillig gewählten Exil konnten seine wichtigsten Bücher entstehen: „Mutterland", die Familiengeschichte seiner Mutter, in der Sprache, Identität und Vertreibung thematisiert werden; „Götz und Meyer" über zwei SS-Offiziere, die zu willigen Vollstreckern der Todesmaschinerie werden.
Die Geschichte der Juden im ehemaligen Jugoslawien grundiert alle Bücher Albaharis, auch den Roman „Die Ohrfeige", ein grandioser Monolog und philosophisches Meisterstück, das den Belgrader Stadtteil Zemun in eine Welt voller geheimnisvoller Zeichen verwandelt. 


In dem im August auf Deutsch erscheinenden Roman „Der Bruder" gerät durch einen Brief alles schlagartig aus den Fugen. Wer ist sein Verfasser, fragt sich Filip, der sich einen Verlierer nennt. Ist der Absender ein Betrüger oder wirklich der in Argentinien verschollene Bruder, von dem Filip bisher nichts ahnte? Ein Treffen im „Brioni" soll dieses Rätsel lösen. Doch Filips einstige Stammkneipe ist - ebenso wie bald sein ganzes Leben - nicht mehr wiederzuerkennen.
Albahari beschreibt, wie sich der Balkan verändert hat und doch erschreckend gleich geblieben ist. Eine schmerzhafte Parabel und fulminante literarische Identitätssuche voller schwarzem Humor.

 

27. März 2012

In seiner Ausrichtung und Aufmerksamkeit auf Poesie vergibt Literatur Lana den N.C. Kaser-Lyrikpreis und das Literaturstipendium Lana, das von der Marktgemeinde und der Stiftung Südtiroler Sparkasse getragen wird. Es richtet sich an junge Dichter, Übersetzer oder Wissenschafter, in deren Tun das Denken in Sprache und das Denken über Sprache einander untrennbar bedingen und die Möglichkeiten von Sprache ästhetisch, aber auch ethisch erforschen und neu erfinden. Die Dichtung sowie ihr Transfer in andere Sprachen und in sekundäre Reflexionen sind also immer auch ein Laboratorium, in
dem das Wesen der Sprache verhandelt wird, nicht als ontologische oder abstrakte Einheit, sondern als
»Gedächtnisspeicher« (Thomas Kling) und Denkbewegung, als Erkenntnisinstrument, Widerstand oder
Selbstbehauptung.

2011 wurde das Literaturstipendium dem polnischen Dichter Tadeusz Dabrowski zugesprochen. Anknüpfend
an ein »skeptisches Dichten und Denken jenseits der Ideologien«, an ein Misstrauen gegen das rhetorische
Wort und gegen den postmodernen Unglauben an den objektiven Status des Undenkbaren, bewahrt ihn das
Wissen, dass alles relativ ist, dennoch nicht davor, die Wahrheitssuche poetisch nicht absolut zu setzen. Auch
darin schreibt der junge Dichter eine große Tradition der polnischen Lyrik fort.

Das Wort Apfel enthält keine Wahrheit
über den Apfel, ebensowenig wie seine Gestalt, seine Farbe, sein Duft
und sein Geschmack. Wahrheit ist nichts zum Anschauen, Riechen
und Schmecken. Apfel sagend, tust du kaum mehr als ihn zu essen.

Im Raum zwischen dem Wort Apfel und der Wahrheit des Apfels
geschieht der Apfel. Der Raum zwischen dem Wort Tod
und der Wahrheit des Todes ist am weitesten. Darin geschieht
das Leben. Zwischen dem Wort Wahrheit und der Wahrheit geschieht

Tod.

(Aus dem Polnischen von Monika Rinck)

27. März 2012

"Die Poesie kann sich noch immer der Wahrheit annähern. Sei es auch nur, um uns die Grenzen unseres Daseins zu zeigen und uns eine Ahnung on dem Reichtum zu geben, der sich jenseits dieser Grenzen befindet. Jenseits, zwischen dem Wort und dem Körper", schreibt der junge polnische Dichter Tadeusz Dabrowski anlässlich der Vergabe des Literaturstipendiums von Lana.

Als Gast der Bücherwürmer stellt er einige der führenden Dichter seines Landes in Lana vor und damit eine poetische Landschaft von starker Tradition, die der Erinnerungskultur und Skepsis gegenüber Ideologien verpflichtet ist, aber auch einen Ausblick in die Metaphysik augenzwinkernd oder wehmütig offen lässt.

10. November 2011

 

„Ach, es ist meine angebohrne Unart,

nie den Augenblick ergreifen zu können, u immer an einem Orte zu leben, an welchem ich nicht bin, und in einer Zeit, die vorbei ist, oder noch nicht da ist." Heinrich von Kleist an Adolphine von Werdeck; Paris, 29. Juli 1801.

Vor 200 Jahren starb am 21. November am Kleinen Wannsee bei Berlin der deutsche Dichter Heinrich von Kleist. 34jährig setzte er durch den in „unaussprechlicher Heiterkeit" inszenierten Freitod mit Henriette Vogel seinem Leben ein Ende. Wie kaum ein anderer ist er der Dichter, der, stets bedroht durch das Moment der Brüchigkeit, die zerrissene Privatheit der menschlichen Existenz in die Sprache trägt und daraus Sätze schlägt, unbegreiflich wie die Verstörungen, die ein Leben unerwartet bereit hält.

Sein Leben ist gekennzeichnet durch Unruhe und Unrast. Kleist gehört dem mächtigen märkischen Adel an und lebt doch nie in geordneten Verhältnissen. Er ist Leutnant, königlicher Beamter und Krisenspezialist und legt doch alle gesellschaftlichen Projekte wieder nieder. Er entwickelt Ideen zu einer neuen Militär- und Finanzreform ebenso wie pädagogische Entwürfe für eine Sozialreform; er entwirft ein U-Boot und eine Bombenpost, träumt von einem Leben als Bauer, als Tischler, als Schriftsteller, ist leidenschaftlicher deutscher Patriot und Gefangener in Frankreich; ist Student der Mathematik, Physik und Philosophie und Herausgeber und Redakteur wichtiger Journale seiner Zeit.

Wer so unstetig, ist auch stets fremd. Wie sein rast- und ratloses „Ach -" trägt er die Befremdetheit mit sich, unberührt dessen, was ein Wissen um Glück oder Gut zu sichern vermöchte. Unheimisch ist Kleist die Heimat Preußen, die er immer wieder verlässt, nicht weniger als es die vielen Teile Europas sind, die er nomadisch bereist, und nicht weniger als die menschlichen Bindungen, von denen er Unmenschliches erwartet und daran scheitert. Früh zum Waisen geworden, hängt er sich im Leben an seine Halbschwester Ulrike, die ihn auch finanziell immer wieder unterstützt, standesgemäß mit Wilhelmine von Zenge verlobt, verbindet ihn eine innige (homoerotische) Freundschaft zu Ludwig von Brockes, beenden wird er sein Leben mit der bereits schwerkranken Freundin Henriette Vogel.

Zeitlebens völlig unzeitgemäß und unverstanden, vergeblich nach Anerkennung und Einverständnis suchend, gezeichnet durch künstlerische und persönliche Extreme, gehört er heute zu den Großen der deutschen Literatur, wo er weder der Klassik noch der Romantik eindeutig zuzuordnen ist. Liest man jedoch Kleist, so liest man, wie radikal er die Moderne vorwegnimmt, wie gründlich er sich zu ihrem Vordenker macht und wie unumwunden er, verwundet von der „gebrechlichen Einrichtung der Welt", sie am Zwiespalt zwischen Fühlen und Wissen, an der Inkongruenz von Individuum und Allgemeinheit entwirft. Sehnend und zweifelnd verzweifelt er an dem, was Realität sein könnte oder sollte - und setzt sie dann in enormem Formbewusstsein und Originalitätspotenzial so eindringlich wie keiner sonst in pure Sprache um: als gewaltige Satzarchitektur, als Leerstelle und Bruch, oder als den berühmten Gedankenstrich in der „Marquise von O...". Es wandern die Sätze Kleists so beständig an die Grenzen des Verstehbaren, riskieren kühn ihre eigene Haltbarkeit und machen bloß deutlich, wie wenig verstehbar und haltbar die Welt ist, im Wissen nicht, im Fühlen nicht, und auch nicht im Handeln.

10. November 2011

„Ist dies ein Sujet, das in einem Journale für die Kunst eine Stelle verdient?", so ein Rezensent anlässlich der Erstveröffentlichung der Novelle 1808. Die Reaktionen von Zeitgenossen erwähnt Thomas Mann 1954: „Das Pénible und Skandalöse kann nicht mit mehr Ernst und Würde vorgetragen werden. Allein das half alles nichts, die Geschichte wurde sehr übel aufgenommen." Theodor Fontane bescheinigt Heinrich von Kleist 1873 „äußerste Geschicklichkeit" und „frauenärztliche Objektivität" und stellt fest: „Nach meinem Gefühl das Glänzendste und Vollendetste, das er geschrieben hat."

Edith Clevers Interpretationen der Marquise sind legendär: 1976 spielte sie die Hauptrolle in Eric Rohmers Verfilmung; 1989 folgte ihr Auftritt am Hebbel-Theater in der Inszenierung von Hans Jürgen Syberberg. Einige Figuren von Kleist, zu dem Edith Clever eine besondere Nähe findet, bleiben durch ihre Interpretation unvergesslich.

In einem Interview in der Frankfurter Zeitung dieses Jahres sagt die Schauspielerin: „Mein Verhältnis zu Kleist läuft sehr stark über die Sprache. Kleist ist mir, zumindest was die Dramatik betrifft, näher als Goethe, er hat einfach diese Zartheit und den tiefen Schmerz in seinen Figuren, die, anfangs sicher in ihre Verhältnisse, in ihre Familien eingebettet, plötzlich den unbegreiflichsten Verstörungen ausgesetzt sind."

Edith Clever wird 1940 in Wuppertal geboren. Ihre Schauspielausbildung absolviert sie an der Otto-Falckenberg-Schule in München. Von 1971 an wird sie zu einer der prägenden Schauspielerinnen an der Berliner Schaubühne unter Regisseuren wie Peter Stein, Luc Bondy und Klaus Michael Grüber. Mit dem Regisseur Hans-Jürgen Syberberg verbindet sie von 1984 an eine exklusive Arbeitsbeziehung in Produktionen wie dem Opernfilm „Parsifal" und Theatermonologen wie „Die Nacht", „Penthesilea", „Die Marquise von O...." Zu ihren eigenen Inszenierungen zählen die „Medeia" von Euripides, Hofmannsthals „Elektra", Becketts „Glückliche Tage", Rudolf Borchardts „Der Hausbesuch" und Einar Schleefs „Gertrud".

10. November 2011

Die Zirkulation der Zeichen und die Zirkulation des Geldes" Der Vortrag von Elmar Locher, Professor für Neuere Literatur an der Universität von Verona, geht von einer weitgehend unbekannten Anekdote Kleists aus, die unter dem Titel Der Griffel Gottes unsigniert in den Berliner Abendblätter vom 5. Oktober 1810 erschienen war. Wenn der Begriff „Griffel" die Übersetzung „Style" ins Englische und „stilus" ins Lateinische ermöglicht, dann definiert er ein Schreibinstrument, das zugleich löscht und schreibt. Damit scheint eine Grundkonstante des Textes benannt, nämlich die Konstituierung zwischen Schreiben und Löschen. Wie sich dieses Verhalten des Textes zum Verhalten des Geldes bezieht und die geldtheoretischen Annahmen Adam Müllers, des Mitarbeiters von Kleist, bestimmt, wird das Referat in Lana entschlüsseln.

„Weltweite Lesung in Erinnerung an Heinrich von Kleist" Anlässlich des Todestages von Heinrich von Kleist werden am 21. November weltweit Auszüge aus den Briefen und Werken des Dichters gelesen. Lana ist dabei eine Station neben vielen anderen aus Addis Abeba, Indonesien, Uganda, USA, Chile, Brasilien, Argentinien oder Russland, die an der internationalen Lesegedenkstätte der world wide reading mitwirken. Diese hat bereits Tradition. Sie entstand aus Anlass des dritten Jahrestages des Kriegsbeginns im Irak. Das internationale literaturfestival berlin und die Peter-Weiss-Stiftung für Kunst und Politik hatten für den 20. März 2006, dem Jahrestag der politischen Lüge, erstmals zu einer weltweiten Lesung von Eliot Weinbergers „What I Heard about Iraq" aufgerufen. Es folgten weltweite Lesungen nach der Ermordung Anna Politkowskajas, im Vorfeld der Olympischen Spiele in China, gegen die Regierungsführung Robert Mugabes, in Gedenken an Mahmud Darwisch und zur Unterstützung der demokratischen Opposition im Iran. Bis zu hundert Institutionen, Radio- und Fernsehsender beteiligen sich jedes Jahr an den weltweiten Lesungen auf allen Kontinenten.

„Die Akte Kleist" - ein Doku-Drama Film, ARTE/RBB 2011 von Simone Dobmeier, Hedwig Schmutte und Torsten Striegnitz. Eine Produktion von Gebrüder Beetz.

Der Film rekonstruiert anhand von Polizeiprotokollen und den Abschiedsbriefen die letzten Stunden des deutschen Dichters und Henriette Vogels, die gemeinsam den Freitod wählten.

21. November 1811 am Kleinen Wannsee bei Berlin. Ein junger Mann und eine Frau laufen scherzend und einander jagend durch den Wald. Sie bestellen sich aus dem nahe gelegenen Gasthof Kaffee, einen Tisch und zwei Stühle ans Seeufer. Sie wirken dabei ausgelassen und vergnügt. Nur wenige Minuten später fallen zwei Schüsse.

Der Tod am Wannsee - ein spektakulärer Fall, der die Nachwelt bis heute verstört und gleichermaßen fasziniert. Der deutsche Dichter Heinrich von Kleist wird erschossen aufgefunden - was soll das heißen? Was genau ist am Nachmittag des 21. November 1811 hier am Kleinen Wannsee geschehen? Was weiß man über diese Frau, die gemeinsam mit ihm starb?

19. Oktober 2011

ZUR BÜCHERVERBRENNUNG 1933 - 2011 „Ich übergebe der Flamme die Schriften von Heinrich Mann und Erich Kästner... von Marx und Siegmund Freud ... von Erich Maria Remarque und Tucholsky ..." Am 10. Mai 1933 ließ Propagandaminister Goebbels zur ersten „Säuberung" des deutschen Geisteslebens an verschiedenen Orten ca. 25.000 Bücher sog. missliebiger - jüdischer, republikanischer, „linker", „undeutscher" - AutorInnen verbrennen. Begleitet von „Feuersprüchen" wurden die Werke ins Feuer geworfen. Die Scheiterhaufen, die in Berlin, München und anderen deutschen Hochschulstädten brannten, wurden errichtet von Studenten, Professoren und Organen der Nationalsozialisten. Der Name des bereits geflüchteten bayerischen Schriftstellers Oskar Maria Graf (1894 - 1967) war nicht darunter. Er wurde von den Nationalsozialisten auf die Liste für empfehlenswerte und ideologisch korrekte Literatur gesetzt.

Am 12. Mai 1933 schrieb Oskar Maria Graf darauf hin in der Arbeiter-Zeitung: „Das dritte Reich hat fast das ganze deutsche Schrifttum von Bedeutung ausgestoßen, hat sich losgesagt von der wirklichen deutschen Dichtung, hat die größte Zahl ihrer wesentlichsten Schriftsteller ins Exil gejagt und das Erscheinen ihrer Werke in Deutschland unmöglich gemacht. Die Ahnungslosigkeit einiger wichtigtuerischer Konjunkturschreiber und der hemmungslose Vandalismus der augenblicklich herrschenden Gewalthaber versuchen all das, was von unserer Dichtung und Kunst Weltgeltung hat, auszurotten, und den Begriff „deutsch" durch engstirnigsten Nationalismus zu ersetzen. Ein Nationalismus, auf dessen Eingebung selbst die geringste freiheitliche Regung unterdrückt wird, ein Nationalismus, auf dessen Befehl alle meine aufrechten sozialistischen Genossen verfolgt, eingekerkert, gefoltert, ermordet oder aus Verzweiflung in den Freitod getrieben werden! Und die Vertreter dieses barbarischen Nationalismus, der mit Deutschsein nichts, aber auch schon gar nichts zu tun hat, unterstehen sich, mich als einen ihrer „Geistigen" zu beanspruchen, mich auf ihre sogenannte weiße Liste zu setzen, die vor dem Weltgewissen nur eine schwarze Liste sein kann! Diese Unehre habe ich nicht verdient! Nach meinem ganzen Leben und nach meinem ganzen Schreiben habe ich das Recht, zu verlangen, daß meine Bücher der reinen Flamme des Scheiterhaufens überantwortet werden und nicht in die blutigen Hände und die verdorbenen Hirne der braunen Mordbanden gelangen! Verbrennt die Werke des deutschen Geistes! Er selber wird unauslöschlich sein, wie eure Schmach!"

 

ZUM PROGRAMM Der Münchner Komponist, Regisseur und Solodarsteller Anton Prestele spannt in seinem Programm einen szenisch-musikalischen Bogen mit autobiographischen Texten Grafs von dessen Anfängen bis zu seinem unausweichlichen Gang ins Exil. Nachspüren kann man in diesen Texten den aufkeimenden Faschismus in Deutschland und - vor allem in den Kriegserlebnissen Grafs - dessen vehementen und immer mutiger geführter Protestkampf.

Trotz der konfrontativen und spannungsgeladenen Atmosphäre entbehrt der Soloabend aber keineswegs komödiantische und heitere Passagen eines dickköpfigen und lebensbejahenden Oskar Maria Graf, den Anton Prestele in seiner Darstellungsweise, die weit über einen üblichen Leseabend hinausgeht, regelrecht zu „verkörpern" sucht.

19 September 2011

Als ihre beste Freundin Ines in Rom plötzlich stirbt, reist Clara Burger aus Stillbach in Südtirol an, um Ines' Haushalt aufzulösen. Dabei entdeckt sie ein Romanmanuskript, das im Rom des Jahres 1978 spielt, dem Jahr der Entführung und Tötung Aldo Moros. Darin beschreibt Ines offenbar ihre eigene Ferienarbeit vor mehr als dreißig Jahren als Zimmermädchen im Hotel Manente, schreibt von Liebe, Verrat und Subversion, erzählt aber die Geschichte ihrer Chefin Emma Manente, die seit 1938 in Rom lebt und zum Leidwesen ihrer Südtiroler Familie einen Italiener geheiratet hat. War sie tatsächlich Johann aus Stillbach versprochen gewesen, der 1944 bei einem Partisanenanschlag in Rom getötet worden war? Und ist der Historiker Paul, den Clara in Rom kennenlernt, der Geliebte von Ines aus jenem Jahr? Wie wirken die Spannungen um Südtirol und seine Zugehörigkeit seit der NS-Zeit und dem Faschismus bis heute nach? In diesem großen, wunderschön geschriebenen Roman erzählt Sabine Gruber spannend und präzise von der Verflechtung persönlicher und historischer Ereignisse, von Stillbach und von Rom, von Verrat und Verbrechen, von Sehnsucht, Wahrheit und neuer Liebe.

28. August 2011

Die „Literaturtage Lana" finden in diesem Spätsommer 2011 zum 26. Mal statt. Sie setzen die Blickrichtung der vergangenen Jahre fort und nehmen demnach den politischen Bezug von Literatur und Sprache auf, der ihre Ästhetik nie an eine pure Autonomie bindet, sondern immer an den Menschen, der durch sie spricht - oder durch den Sprache und Literatur sprechen.

Die „Literaturtage Lana 2001 " fragen nach den Leerstellen, die vornehmlich kommunistische Utopien im 20. Jahrhundert hinterlassen haben; sie fragen aber auch nach den Lücken, die einer Zeit zerschlagener und desillusionierter Weltbilder bleiben und die frei werden für die Erprobung neuer poetischer oder existentieller Entwürfe.

Grundstein der diesjährigen Literaturtage ist eine Hommage an den großen serbokroatischen Schriftsteller Danilo Kiš (1935 - 1989). Er war Sohn einer Montenegrinerin und eines jüdischen Vaters, der in Auschwitz umgekommen oder verschwunden war. Das Werk Danilo Kis` gründet in den Erfahrungen von Faschismus und Holocaust, von Stalinismus und dem Jugoslawien vor dem Fall der Berliner Mauer. Eine beschädigte Kindheit sowie die Absurdität von totalitären Systemen, von Krieg und Terror im Nacken, schafft Danilo Kiš eine Literatur, die exemplarisch zum Appell und Gegenentwurf totalitärer Macht wird. Bestürzend komplex, grausam und schön verdichtet sie Faktizität und Fiktion, Politisches und Poetisches, Tragödie und Ironie, ist höchst skrupulöse Annäherung an die Geschichte als Gegenwart. Jeder Ideologie Feind, hält sie sich auch jeder ästhetischen fern und bezieht daraus nicht zuletzt ihr sprachliches Bewusstsein.

Aus solcher Betrachtung leitet sich eine wesentliche Frage der diesjährigen „Literaturtage Lana" ab: Von welcher Beschaffenheit ist Sprache, wenn sie zum totalitären Missbrauch ebenso tauglich ist wie zum Mittel der Befreiung und unzerstörbaren Hoffnung? Und was wiederum bedeutet sie für das Sprechen von Minderheiten, für das Sprechen in einer anderen Sprache, für das Sprechen mit dem Blick des Fremden, sofern Fremdheit immer auch existenzielle Bruchstellen mit einschließt?

Besonders sensibel, aber auch besonders gefährlich sind solche Fragen nach der Bedeutung von Sprache und deren Herrschaft in Rand- und Grenzgebieten oder in Ländern, die von vielen Sprachen und vielen Völkern geprägt sind. Exemplarisch dafür war das Jugoslawien von Danilo Kiš, dessen Zusammenbruch er in mahnender Warnung vor dem Krieg vorausgesehen hatte, exemplarisch dafür ist die Vojvodina, in der Deutsche, Ungarn, Juden, Serben, Rumänen, Slowaken zusammenlebten, exemplarisch dafür ist das Siebenbürgen Rumäniens, das von Deutschen, Ungarn und Rumänen besiedelt war, exemplarisch dafür ist Lviv (Lemberg) in der Ukraine, wo über Jahrhunderte Polen, Juden, Deutsche, Ukrainer und Russen lebten.

Die „Literaturtage Lana" versammeln mit Juri Andruchowytsch aus Lviv (Ukraine), mit dem Serben Dragan Aleksic aus der Vojvodina, mit Lászlo Végel als Angehöriger der ungarischen Minderheit der Vojvodina, mit György Dragoman, ursprünglich der ungarischen Minderheit in Siebenbürgen angehörig, sowie mit Ernest Wichner, ursprünglich Angehöriger der deutschen Minderheit in Siebenbürgen Autoren europäischer Randgebiete, die zeigen, wie Utopien glücklicher Zusammenleben zerschlagen werden und in Gewalt verkehren, sobald politische und ideologische Kontrolle greift und ungewisse Identitäten nicht duldet.

Nun kann Sprache, auch literarische, unbeschädigt und unbeschadet, auch unpolitisch oder utopisch nie sein. Doch birgt sie gerade in der erprobten Berührung mit anderen Sprachen und in den Bezügen zur Erinnerung an das Gegebene immer wieder die Möglichkeiten, die Lücken, Irrläufe oder Ungewissheiten, die ein Höchstmaß an Realitätsgehalt besitzen, zu denken. Die „Literaturtage Lana" laden mit mehrsprachigen Literaturen dazu ein!

Die Literaturtage Lana werden kuratiert von Klaus Hartig und Christine Vescoli

02. August 2011

Als Angehöriger der ungarischen Minderheit in Serbien ist Lászlo Végel (* 1941) wie Danilo Kiš, Aleksandar Tišma oder Ottó Tólnai einer der großen Autoren der Vojvodina. Und wie bei Danilo Kiš stellt Novi Sad als Stadt an der Grenze zwischen Mitteleuropa und dem Balkan auch für Lászlo Végel ein Menetekel der europäischen Politik dar. Wo einst Deutsche, Ungarn, Juden, Serben, Rumänen, Slowaken zusammenlebten und eine Utopie glücklicher Diversitäten hätten begründen können, ist sie in Realität in ethnischen Hass, Vertreibung und Mord verkehrt. Végels Selbstcharakterisierung als „heimatloser Lokalpatriot" verlor endgültig ihre Berechtigung, als mit dem steigenden und im Krieg kollabierenden Nationalismus der letzte Rest von Zugehörigkeitsgefühl zu einem Land oder einer Gesellschaft verschwand und die prekäre Lage der Minderheiten zur aussichtslosen Situation wurde. Der „Krieg nimmt all jenen die Heimat, die nicht in diese oder jene Nationalgeschichte, in diese oder jene Gemeinschaft hineingeboren wurden. Wer aus der großen kollektiven Erzählung ausgestoßen, wer in Acht und Bann getan wurde, sich also seinen Verstand und seine Unabhängigkeit bewahrt hat, allein der besitzt noch Individualität. Doch dafür bezahlt er einen hohen Preis: Er verliert die Heimat." 1968 erschien der Roman „Zugeständnisse einer Zuhälters", von Aleksandar Tišma ins Serbische übertragen und 2011 auf Deutsch erschienen. Im Mittelpunkt dieses legendären Romans steht eine Gruppe junger Freunde, die sich um einige wesentlichen Dinge des Lebens kümmern: um Frauen, Alkohol und Geld. Sie lehnen die erstarrte Welt, in der sie leben, ab und begegnen der gesellschaftskonformen Betriebsamkeit mit Verweigerung.
 „Ein schönes Buch, es atmet Freiheit. Ein Meilenstein für die moderne ungarische Literatur." (Peter Esterházy)

1958 im jugoslawischen Banat geboren, folgt Dragan Aleksić in Rückblenden und Rückblicken der Erinnerung der Zeit, als die ethnischen Uneinigkeiten Jugoslawiens noch nicht das Leben der Menschen diktierten. Wie bei Végel und Kiš, der als ein Vorbild von Dragan Aleksić gilt, ist bei dem seit 2006 in den USA lebenden Autor die Vojvodina europäisches Randgebiet der mehrsprachigen Realitäten und ungewissen oder hybriden Identitäten. Daran knüpfen sich - gebunden an Fragen nach der Herkunft - Fragen nach der Anwesenheit des Anderen in ethisch gemischten Gemeinschaften und Fragen nach der Fremdheit und Beheimatung in Sprache.

2011 erscheint bei Matthes & Seitz in Übersetzung von Mirjana und Klaus Wittmann die Sammlung „Vorvorgestern. Geschichten, die vom Glück handeln". Die Sammlung aus 65 Kurzdarstellungen vereint immer wieder das Thema der Erinnerung an die Kindheit des Autors, kurz nach dem Zweiten Weltkrieg. „Es sind ergreifende kleine Episoden, die Aleksić beschreibt, vorurteils- und schmucklos, unprätentiös, doch gerade darum poetisch. Schon nach wenigen Seiten verfällt man ihrem melancholischen Zauber, der das Glück im Beiläufigen ortet." (Ilma Rakusa)

Mirjana und Klaus Wittmann sind eine "Institution" der literarischen Übersetzung aus dem Serbischen, Kroatischen, Bosnischen. Mirjana Wittmann wurde 1938 in Sarajevo geboren, wuchs in Belgrad auf und absolvierte ein Sprachenstudium in Heidelberg. Klaus Wittmann wurde 1937 in Krefeld geboren und studierte Jura. Beide leben in Bonn. In diesem Jahr werden sie für ihr Gesamtwerk mit dem wichtigen Preis für herausragende Übersetzung, den Celan-Preis, ausgezeichnet.

 

 

02. August 2011

Ernest Wichner, geboren 1952 in Guttenbrunn /Rumänien, gehörte der Schriftstellergruppierung Aktionsgruppe Banat an. 1975 siedelte er in die BRD über und lebt seitdem als Autor, Literaturkritiker, Übersetzer und Herausgeber in Berlin. Seit 2003 leitet er das Literaturhaus Berlin. Verankert im Freundeskreis um Herta Müller und Richard Wagner, musste er zuletzt im Fall des als frühen IM enttarnten Oskar Pastior die Erfahrung machen, wie ambivalent sich Biografien gerade im Kosmos des östlichen Totalitarismus gestalten. Den Gedichtband „bin ganz wie aufgesperrt" (2011) trägt vor allem das Thema der Liebe, die verletzbar und zerbrechlich ist, unstet, zerrissen und begleitet von Lüge und Enttäuschung. Gedichtbände zuletzt: Die Einzahl der Wolken, (2003), Rückseite der Gesten (2003), bin ganz wie aufgesperrt (2011).

Rita Chirian, geboren 1982 in BotoÅŸani, Rumänien, ist Dichterin, Kritikerin und Übersetzerin aus dem Französischen und veröffentlichte bislang zwei Gedichtbände: Sevraj (Entzug), 2006 und poker face, 2010. Für ihren ersten Gedichtband erhielt sie 2007 den nationalen Poesiepreis „Mihai Eminescu". Mit ihren rauhen, mitunter neoexpressionistisch-drastischen Gedichten zählt Rita Chirian zu den bedeutendsten rumänischen Dichterinnen der jüngsten Generation.

Iulian Tănase, 1973 in Bukarest geboren, lebt dort als Schriftsteller und Journalist. Er veröffentlichte bislang zehn Gedichtbände, Kurzprosa und Collagenbände, u.a.: 1999 Îngerotica (Engelerotik); 2002 Iubitafizica (Geliebtenphysik); 2003 Sora exactă (Die genaue Schwester); 2007 Abisa (Abgründe); 2009 Adora. Gedichte in deutscher Übersetzung in: Balkanische Alphabete: Rumänien, 2009. Im gleichen Jahr wurde er mit dem Hubert Burda-Stipendium für Poesie ausgezeichnet, 2011 vom Kulturzentrum der Minoriten Graz. Mit groteskem Humor, kühnen surrealistischen Metaphern und Bildern reagiert er auf die neuen osteuropäischen Verhältnisse.

György Dragomán, geboren 1973, gehörte der ungarischen Minderheit in Siebenbürgen an, bevor er 1988 mit seinen Eltern nach Ungarn übersiedelte. Heute lebt er als Filmkritiker, Übersetzer und Schriftsteller in Budapest. Die Erfahrung der kommunistischen Diktatur und der Beklemmung ihres Systems, die staatlich verordnete Grausamkeit und gleichgültige Bestialität schillert in all seinen bisherigen Romanen brillant durch. Der Roman „Der Weiße König", der international große Aufmerksamkeit erlangte, schildert konsequent aus der Perspektive eines Kindes die Amoralität einer politisch terrorisierten Gesellschaft. Ein Elfjähriger wird 1987 Zeuge, wie Beamte des Geheimdiensts seinen Vater abholen. Von Monat zu Monat schwindet die Hoffnung, ihn wiederzusehen. Mit rührender Aufmerksamkeit versucht der Junge, der tapferen, als Jüdin und „Dissidentin" geächteten Mutter den Vater zu ersetzen, während er ihr die Schikanen in der Schule verschweigt. Er begleitet sie zum „Genossen Botschafter", von dem sie sich Hilfe erhofft, sinnt auf eigene Wege, um den Vater aus dem Arbeitslager am „Donaukanal" freizubekommen. Im Turnlehrer, der die Kinder bei Radioaktivitätsalarm zum Fußballspiel zwingt, in den verrohten Jugendlichen, die vor keiner Gewalttat zurückschrecken, in den Bauarbeitern, die behaupten, seinen Vater gesehen zu haben - überall begegnet ihm das zynische Spiel mit Angst und Hoffnung, Erpressung und Verrat. Doch er führt seinen Krieg, wehrt sich gegen die Unmenschlichkeit, und in einem grandiosen Finale kämpft er um seinen Vater - gegen die ganze Welt.

26. Mai 2011

Tanz als Körperpolitik Für die Inszenierung von »47 Items« hat Paul Wenninger eine imaginäre Grenze gezogen, die zwischen den Tänzerinnen auf der einen Seite und den zu inszenierenden Objekten auf der anderen Seite verläuft. Imaginär ist diese Grenze deshalb, weil sie weniger räumlich oder zeitlich zu denken ist sondern als Rollenaufteilung. Denn die Geschichte, auf die sich die Inszenierung stützt, wird allein von Objekten und deren Arrangements erzählt; den Tänzerinnen fällt die Rolle zu, diese Objekte stets aufs Neue in Position zu bringen. Die körpersprachliche Leistung der Tänzerinnen konzentriert sich auf eine Figur von Arbeit, die es gewissermaßen im Akkord zu erbringen gilt. Ihre Aufgabe besteht darin, aus Regalen, die mit Supermarktprodukten gefüllt sind, die entsprechenden Waren zu holen und je aufs Neue in eine sich verändernde Choreographie aus Objektinszenierungen einzufügen, um sie für das nächste Arrangement wieder in die Regale zu räumen oder neu zu positionieren. Was dabei entsteht, sind szenische Bilder aus Warenarrangements, die auf die zugrunde liegende Geschichte und die räumlichen Koordinaten der Erzählung schließen lassen. Die Protagonisten der Erzählung selbst werden nur über den Verweis durch die Objekte evoziert.  Sie treten nur als Abwesende in Erscheinung, um auch hier dem Imaginären Raum zu schaffen. Unterstützt wird dieses Pendeln zwischen narrativem Andeuten und Evozieren des Imaginären durch ein Soundenvironment, das die Geschichte manchmal narrativ begleitet und sich dann wieder in die Abstraktion von Klang und Komposition allein zurückzieht. So entsteht eine Rezeption, die den Entstehungs- und Veränderungsprozess der szenischen Bilder begleitet, um je aufs Neue den narrativen Subtext zu erahnen und imaginär zu ergänzen, was bewusst der Vorstellung vorbehalten bleiben soll.

Was Wenninger damit leistet, ist eine Arbeit am Tanz, dem der Körper entzogen wird, um Raum zu schaffen für einen Tanz der Requisiten. Deren Sprachlichkeit nährt sich von der Arbeit der Tänzerinnen, die diese in Szene setzen. Die Tatsache, dass die verschiedenen Waren in szenische Bilder eingetragen werden, die mit der Funktion oder dem vermeintlichen Inhalt derselbigen nichts oder nur punktuell zu tun haben, erklärt die Requisiten selbst zu Objekten des Tauschwerts. Was sie trotz ihrer Verschiedenartigkeit gemeinsam haben, ist ihre Austauschbarkeit. Diese Austauschbarkeit gilt für die Waren genauso wie für die Tänzerinnen, die hier jenseits individueller  Qualitäten und Persönlichkeiten zur Arbeit am Imaginären herangezogen werden. So wie sie unaufhörlich ihre Positionen ändern, so ändern sie ihre Rollen für das zu arrangierende Bild. Was von deren Körpersprachlichkeit bleibt, ist eine Variable. In dieser Inszenierung von Wenninger sind sie so austauschbar wie die Waren. Und hier beginnt die imaginäre Grenze zwischen beiden Fragen zu stellen - Fragen, die die Rolle des zeitgenössischen Tanzes genauso betreffen wie die Mechanismen einer alltagskulturellen Warenförmigkeit, die hier auf die Vorstellung von (Tanz als) Körperpolitik durchschlägt.

Wenninger zieht die Konsequenzen aus einer Kultur, für die die Variable und die Austauschbarkeit die tragenden Rollen übernommen haben. Vor dem Hintergrund, dass der Tauschwert die konstitutive Figur für den Markt und die damit verbundene Ökonomie darstellt, wird die Frage nach dem Verhältnis zwischen Tanz und Ökonomie zur zentralen Frage in Wenningers Arbeit. Statt den Tanz als körperpolitische Gegenfigur zur Ästhetik des Tauschwerts zu inszenieren, übersetzt Wenninger die Austauschbarkeit selbst in Tanz. Aus dieser Austauschbarkeit zieht er die Konsequenz für ein Bild vom Körper, der sich nicht der Logik der Austauschbarkeit entzieht oder sich gegen diese stellt, sondern ihr folgt. In diesem Sinne stellt sich ob der Inszenierung des Tanzes, der hier als pure Arbeit repräsentiert wird, weniger die Frage, was diese Körper tänzerisch leisten, sondern vielmehr was sie nicht leisten und worauf sie verzichten. Sie verzichten auf Ausdruck, um im Vorenthalten des Ausdrucks diesen selbst nur mehr als imaginäre Figur darzustellen. Was vom Ausdruck übrig bleibt, ist der Eindruck von einer Leistung, die hier jenseits eines individualisierten Körper- und Subjektbegriffs erbracht wird: Tanz entlang der Koordinaten von Arbeit und Sportlichkeit, die ihrerseits eine spezifische Form der Körperpolitik im Rahmen der Ökonomie und Austauschbarkeit markieren. Das Bühnenbild, das mit seiner Lagerung von Regalreihen dem Bildnis eines Supermarkts folgt, unterstreicht diesen Kontext eines ausdruckslosen Ausdrucks  zusätzlich.

Was vom Tanz und dessen Ausdrucksfähigkeit und Sprachlichkeit bleibt, ist in dieser Inszenierung das Publikum. Das Publikum hat die Rolle und Aufgabe, die ins Imaginäre verschobene Figur des Tanzes wahrzunehmen, indem es sich je vorstellt, was nicht gezeigt und vorenthalten wird. Die Erfahrungen und Erlebnisse, die man als Publikum hier mit Tanz machen und haben kann, rühren dann von der Erfahrungen und Erlebnissen her, die man mit Tanz gemacht und gehabt hat - eine gewissermaßen retroaktive Wahrnehmung. Das Sichtbare und die Projektion auf das Sichtbare werden hier als differente Figuren aufgerufen und zugleich miteinander verknüpft.

Wenninger berührt damit eine Geschichte des Minimalismus, die sich aber im Unterschied zum historischen Pendant in den 60er Jahren weniger um die Auslotung der formalen Reduktionen des Ausdrucks sorgt als um die Inszenierung eines Körpers, dessen Ausdrucksfähigkeit und Sprachlichkeit schlicht nicht mehr gefragt sind.  Waren es in seinen früheren Arbeiten wie »tubed« (2008) noch die Sollbruchstellen, die in den Anpassungsversuchen zwischen Objekten und Körpern Thema waren, so reduziert Wenninger in dieser Inszenierung Tanz und Körper auf eine Dienstleistung. Was dann erscheint, ist das tänzerische Porträt einer Dienstleistungsgesellschaft, die hier aufgefordert wird, das Individuelle und den Ausdruck allein als imaginäre Figuren zu erfahren - als autosuggestive Projektionen, die es genauso selbst zu verantworten gilt wie die Sorge um die eigene Gesundheit und das Überleben.

Die Arbeit am Tanz vermittelt sich hier als Tanz zu einem Begriff von Arbeit. Im Unterschied zu den historischen Versuchen die Arbeit tänzerisch darzustellen als Mechanik und Kontrolle, als Gleichklang und Synchronisierung von Körperlichkeit, bedient sich Wenninger der Leistungsbereitschaft und Sportlichkeit als körperpolitischem Paradigma der Dienstleistungsgesellschaft. Paradox daran erscheint, dass das Individuum dazu aufgefordert wird, je individuell für diese Sportlichkeit und Leistungsbereitschaft zu sorgen, um sie dann als austauschbare Größen zur Verfügung zu stellen.  Das körperpolitische Prinzip dahinter erklärt damit die Bedingungen des Körpers und Individuums zu einer Agenda des Privaten, dessen Rolle - wenn überhaupt - nur unter den Koordinaten des Imaginären erscheinen darf. Die Grenze dieses Imaginären zu thematisieren und zu verhandeln, ist körperpolitische Frage, die sich dem Tanz gegenwärtig stellt. Und geschieht dies, wie in der Inszenierung von Wenninger, dann erreicht der Tanz - so paradox dies klingen mag - eine Gegenwärtigkeit auf der Basis dessen, was ihm versagt bleibt.

 

Andreas Spiegl Vizerektor Mag. Akademie der bildenden Künste Wien

06. Mai 2011

"Was hier oder da in Frage steht, ist ein Ende, ob also das Fabulieren je ein Ende nehmen oder zu einem Ende finden könne - doch ob genommen oder gefunden, das Ende bleibt fraglich, da ein Anfang gemacht wurde mit jenem Anfang, von dem die Ursprungsmythen handeln - indem sie so handelten, setzten sie in Gang, was so leicht durch kein Machtwort oder Sterbenswort für beendet erklärt werden kann - dem erklärten Anfang steht kein ebenso erklärbares Ende gegenüber, so oft auch die Rede vom Ende der Tage sein mag - denn auch jene Rede ist Teil der Erzählung, welche mit der Erschaffung des Tages begann, und so scheint die Frage nach dem Ende vergeblich gestellt - und doch suchte und sucht die Kunst nach einer Reinheit der Darstellung, welche auf alles Erzählende verzichtet oder es auflöst in nichts als Ausdruck - denn es ist, was nicht von diesem Streben durchdrungen ist, zu mitteilsam oder geschwätzig - im Papperlapapp aber lebt wie in der Pappel jenes Rauschen, das Klage sein mag, das allerdings kein Ende kennt - denn es endet auch dort nicht, wo die Reinheit der Sprache das Sprechen unterbrechen will oder das Gesprochene, das Wort, das erzählt von der Sprache in der Sprache: vom Ende im Enden." (Michael Donhauser)

Den Abschluss der Veranstaltung bildet eine besondere Aufführung des arrivierten und mit zahlreichen Preisen ausgezeichneten Tanztheaters Kabinett ad Co. um Paul Wenninger. In der Inszenierung „47 Items - Ingeborg & Armin" folgt die Tanzgruppe einer Textvorlage des Lyrikers Michael Donhauser und erhebt darin die Koordination als Methode der Raumerzeugung. Sie geschieht parallel zur szenischen Handlung anhand von Produkten aus dem Supermarkt, das heißt: die Produkte aus den Regalen sind sowohl szenisches Referenzmaterial als auch Baustoff für den Raum und erzählen so die Handlung. Der Text wird also nicht als Wortsprache realisiert, sondern durch das Zusammenwirken von Objekten in einen raumzeitlichen Ablauf übersetzt. Der stilisierte Supermarkt ist dabei gleichermaßen fertig inszenierte Umgebung wie Objektlager.

Der Text selber überträgt den Mythos von einem alten Paar, das zwei Göttern vorbehaltlos Gast freundschaft gewährt, in die Welt einer Imbissbude mit Gartenwirtschaft. Er erzählt von dem Wunsch, der den beiden Alten freigegeben wird, von einem Anbau sowie einem Dahlienbeet, von einem Gehil fen und dem Erinnern, das seinen Anlass über die Jahre vergisst.

Die musikalische Umsetzung der imaginären Geschichte zeigt eine Vergänglichkeit, die sich im Klang der Trompete manifestiert und dabei Reales, Erfundenes und Göttliches in eins setzt. Die auf einer Metaebene operierende Musik folgt den Spuren, welche die Ereignisse beschreiben und die dramaturgischen Elemente verbindet. Klingende Produkte setzen die Töne der Trompete in den nöti gen akustischen Referenzraum aus dem alles kommt und in dem alles wieder verschwindet: Weißes Rauschen.

04. April 2011

Poetische Nachbarschaften

Es kommt, wenn von der Lyrik und ihrer Vielschichtigkeit die Rede ist, erstaunlich schnell eine Metaphorik ins Spiel, die Landschaftlichkeit und ihre Kartografie bemüht: So wird Lyrik in ihren Bezügen in die Anordnung von Landschaften und „Atlanten" versehen, als Konzentration der sprachlichen „Nachbarschaften" gesehen, als literarische Ortsnahme oder Ortkunde.

Nun ist diese Versuchanordnung durch geografische Bilder, in der eine gegenwärtige Lyriksituation immer wieder vermessen wird, ja durchaus naheliegend. Gerade das Bild der Nachbarschaften und Grenzen beschreibt treffend jenes tatsächliche Übertreten in fremde Gebiete und Sprachen, das die gegenwärtige Lyrik (wie seit Langem nicht mehr) betreibt und antreibt: In das Gedicht, dieses konzentrierteste Textbeziehungsphänomen, mischen sich Einsprengsel fremder Sprachen, Elemente aus den Dialekten, Zitate wie „nie verstummende Zikaden" (O. Mandestam), Exzerpte und Extrakte, Spurenelemente aus vergangenem oder rotwelschem, alltäglichem oder literarischem Sprechen, Fachsprachen und Jargons. Eine solche Inventur sprachlicher Möglichkeiten, die das Gedicht zu Recht zum „Gedächtnis der Sprache" (Jacques Roubaud) macht, findet in der Tat immer wieder durch Versuche der bildhaften Verortung ihre Ordnung.

So zutreffend also von den Landschaften im Gedicht selbst oft gesprochen wird, so sehr mögen mit der zweitägigen Veranstaltung im April Landschaften der Lyrik konkret beleuchtet werden. Es sei demnach von den linguistischen Nachbarschaften gesprochen, von den Poesien und Poetologien der unterschiedlichen Länder, von den gegenwärtigen Entwicklungen des Gedichts in den unterschiedlichen Kulturen und Sprachen, aber auch von der Leistung, die dabei der Übersetzung zukommt.

Im Zentrum steht dabei der Blick in den Norden Europas, der sich mit den Übersetzern Klaus Anders und Iain Galbraith, der Übersetzerin und Verlegerin Margitt Lehbert und dem norwegischen Dichter Eirik Loden die schottische und norwegische Lyrik vornimmt und diese in Lana präsentiert.

Mit der ausgezeichneten Neuübersetzung des Gedichtsbandes „Grasblätter" von Walt Whitman, die Jürgen Brocan geleistet hat, nimmt die Veranstaltung die Rezeption eines Klassikers auf, der die Moderne Amerikas wesentlich fundiert hat und bis heute auf viele Dichtung wirkt.

Dass die Grenzen zwischen Übersetzungspraxis und poetischer Praxis verschwimmen, weist nicht allein auf ein Phänomen des gegenwärtigen Lyrikbetriebs hin, der damit auch schon sehr umtriebig umgeht. Vielmehr fußt die Erscheinung auf einer langen Tradition der Übersetzer-Dichter und Nachdichter, die ihre literarische Arbeit gerade über die poetische Übersetzung definieren. Diese Spur nimmt die Veranstaltung auf, indem sie die Übersetzer Klaus Anders, Iain Galbraith und Jürgen Brocan als Dichter präsentiert.

 

Iain Galbraith (Hrg.): „Beredter Norden", Edition Rugerup, 2011

Mit der viersprachigen ‚beredten' Retrospektive gilt es, eine im deutschen Sprachraum ungewohnte und ergiebige Perspektive auf die Dichtung der britischen Inseln freizulegen. Beredter Norden bietet 125 Gedichte von über 50 schottischen Dichtern aus den Jahren 1900 bis 2010. Hier findet man die wichtigsten schottisch-englischsprachigen Dichter, von Edwin Muir bis Edwin Morgan, von Douglas Dunn bis Carol Ann Duffy. Das kleine Schottland hat drei moderne literarische Sprachen, so gesellen sich gälische Dichter wie der große Sorley MacLean oder jüngere Gälen wie der 1972 geborene Kevin MacNeil dem Englischen hinzu. ‚Scots' wiederum, die dritte Sprache, besteht aus 8 Dialektgruppen, die von manchem Sprachkünstler (etwa Hugh MacDiarmid oder dem viel jüngeren W. N. Herbert) - mit obsoleten oder gar erfundenen Wörtern gespickt - gern durcheinandergewirbelt werden. So viel Babel war nie! Wer wird es also den Herausgebern verübeln, wenn sie die deutsche als weitere Sprache herbeirufen: Glücklicherweise haben nämlich einige unserer qualifiziertesten Vermittler, Nachdichter und Eindeutscher angeboten, den schottischen Gedichten aufs Fahrrad zu helfen: Raoul Schrott, Ulrike Draesner, Jan Wagner, Guy Helminger, Michael Donhauser, Evelyn Schlag, Wolfgang Schlüter, Christa Schuenke, Peter Waterhouse, Franz Josef Czernin und andere - allesamt Meisterinnen und Meister ihres Faches.

 

Alastair Reid Eine fremde Sprache sprechen Wie schwer von der Zunge gehen, gemessen an unsren gewohnten Anspielungen, diese fremden Redensarten. Welche Kluft zwischen uns und den Ausländern, welch tiefes Vertrauen setzen wir in den einen Satz, in der Hoffnung, unser Gegenüber möge mit dem passenden Gesicht und Lächeln reagieren. Wir schwanken zwischen dem, was wir zu sagen ersehnen, und dem, was wir sagen können, bauen darauf, daß ein Satz dem Anlaß angemessen erscheint, daß unser Akzent plausibel und das Lächeln echt ist, und stets stellen wir uns die ängstliche Frage des Reisenden - was geht in der Übersetzung verloren?

Mit Sicherheit etwas. Doch horchen wir aufs Stolpern ausländischer Freunde - wie wenig bekümmert uns da das mißglückte Wort oder Tempus. Wir finden sie vielmehr liebenswert, und das eigene Sprechen möchte helfende Hand sein, oder hinkt schon aus Sympathie. Leicht zu verstehen durch das Knäuel der Sprache ist das Herz dahinter: Es tastet sich an uns heran und will die Syntax in Liebe übersetzen. (Übersetzt von Iain Galbraith)

 

Klaus Anders, Andreas Struve (Hrg.): „So schmeckt ein Stern", Edition Rugerup 2011 Die Sammlung ist zwei Ordnung schaffenden Elementen verpflichtet: Sprache und Zeit. Die Originalgedichte sind in norwegischer Sprache verfasst und stammen aus dem 20. Jahrhundert, allgemein als Zeitalter der Moderne und Nachmoderne bezeichnet. Darüber hinaus gibt es keine zusammenbindenden Kriterien, die auf etwas anderes verweisen, als auf das Gedicht selbst. Die Übersetzer laden zum unbefangenen Lesen ein und verweigern eine seminaristische Haltung des Kategorisierens und Systematisierens. Das mag den Leser enttäuschen. Die Enttäuschung mag darin bestehen, dass hier kein Beitrag zur Anwendung literaturwissenschaftlicher Grundbegriffe geleistet wird. Die Gedichte werden nicht nach Epoche und Strömung bestimmt, nicht in Schule und Bewegung eingebunden. Stile werden nicht analysiert, und modernistische Kennzeichen wie Reimbrechung, Verfremdung, Verdunklung, Montage, Dissonanz oder syntaktische Experimente werden nicht herausgearbeitet. Auch wird nicht der Versuch unternommen, die Gedichte literaturgeschichtlich der europäischen Poesie zuzuordnen. Wissenschaft setzt Grenzen; Gedichte sind grenzenlos in jenem Verstand, wie Hugo von Hofmannsthal einmal sagte, dass sie grenzenlose Zustände ausdrücken. Der Leser wird durch Zeit und Sprache geführt und allein gelassen in der Hoffnung, dass das Lesen dieser breitgefächerten Auswahl Sinn macht.

 

Eirik Lodén Kaprifolienschlaf Kaprifolienschlaf kommt wie die Sommernacht legt sich blind-zur-Ruh hier, laubkühl und duftender. Traum um kommende Winter, uns zu wecken, gelingt ihm nicht.

Warte nicht, sondern komm-! In einem Geißblatthaus das Gedicht schon im Keim, staubbeutel-artig Keim: Kaprifolienschlaf, er kommt mit Bienen in Tausendzahl.

04. April 2011

Poetische Nachbarschaften

Es kommt, wenn von der Lyrik und ihrer Vielschichtigkeit die Rede ist, erstaunlich schnell eine Metaphorik ins Spiel, die Landschaftlichkeit und ihre Kartografie bemüht: So wird Lyrik in ihren Bezügen in die Anordnung von Landschaften und „Atlanten" versehen, als Konzentration der sprachlichen „Nachbarschaften" gesehen, als literarische Ortsnahme oder Ortkunde.

Nun ist diese Versuchanordnung durch geografische Bilder, in der eine gegenwärtige Lyriksituation immer wieder vermessen wird, ja durchaus naheliegend. Gerade das Bild der Nachbarschaften und Grenzen beschreibt treffend jenes tatsächliche Übertreten in fremde Gebiete und Sprachen, das die gegenwärtige Lyrik (wie seit Langem nicht mehr) betreibt und antreibt: In das Gedicht, dieses konzentrierteste Textbeziehungsphänomen, mischen sich Einsprengsel fremder Sprachen, Elemente aus den Dialekten, Zitate wie „nie verstummende Zikaden" (O. Mandestam), Exzerpte und Extrakte, Spurenelemente aus vergangenem oder rotwelschem, alltäglichem oder literarischem Sprechen, Fachsprachen und Jargons. Eine solche Inventur sprachlicher Möglichkeiten, die das Gedicht zu Recht zum „Gedächtnis der Sprache" (Jacques Roubaud) macht, findet in der Tat immer wieder durch Versuche der bildhaften Verortung ihre Ordnung.

So zutreffend also von den Landschaften im Gedicht selbst oft gesprochen wird, so sehr mögen mit der zweitägigen Veranstaltung im April Landschaften der Lyrik konkret beleuchtet werden. Es sei demnach von den linguistischen Nachbarschaften gesprochen, von den Poesien und Poetologien der unterschiedlichen Länder, von den gegenwärtigen Entwicklungen des Gedichts in den unterschiedlichen Kulturen und Sprachen, aber auch von der Leistung, die dabei der Übersetzung zukommt.

Im Zentrum steht dabei der Blick in den Norden Europas, der sich mit den Übersetzern Klaus Anders und Iain Galbraith, der Übersetzerin und Verlegerin Margitt Lehbert und dem norwegischen Dichter Eirik Loden die schottische und norwegische Lyrik vornimmt und diese in Lana präsentiert.

Mit der ausgezeichneten Neuübersetzung des Gedichtsbandes „Grasblätter" von Walt Whitman, die Jürgen Brocan geleistet hat, nimmt die Veranstaltung die Rezeption eines Klassikers auf, der die Moderne Amerikas wesentlich fundiert hat und bis heute auf viele Dichtung wirkt.

Dass die Grenzen zwischen Übersetzungspraxis und poetischer Praxis verschwimmen, weist nicht allein auf ein Phänomen des gegenwärtigen Lyrikbetriebs hin, der damit auch schon sehr umtriebig umgeht. Vielmehr fußt die Erscheinung auf einer langen Tradition der Übersetzer-Dichter und Nachdichter, die ihre literarische Arbeit gerade über die poetische Übersetzung definieren. Diese Spur nimmt die Veranstaltung auf, indem sie die Übersetzer Klaus Anders, Iain Galbraith und Jürgen Brocan als Dichter präsentiert.

 

Walt Whitman: „Grasblätter" neu übersetzt von Jürgen Brôcan (Hanser Verlag 2009)

"Er ist Amerika", sagte Ezra Pound über den Dichter Walt Whitman. In seinen "Grasblättern" besingt er den Aufbruch der USA nach dem Bürgerkrieg. Der Lyriker Jürgen Brôcan hat dieses zentrale Werk der amerikanischen Literatur mehr als ein Jahrhundert nach Erscheinen erstmals vollständig auf Deutsch übersetzt und mit einem Nachwort und einem ausführlichen Kommentar versehen. Im Schmelztiegel seiner Dichtung vereint Whitman Ideen aus Kultur, Gesellschaft, Politik, Wissenschaft und Mystik seiner Zeit. Seine Gesänge sind Abbild und Vision einer modernen Nation der "Vereinigten Staaten", die Spaltungen überwinden und allen Menschen Freiheit und Gleichheit bringen soll.

Die Gedichtsammlung des amerikanischen Homer und Dante, wie auch Whitman genannt wird, gilt als Grundstein der modernen und eigenständigen amerikanischen Dichtung. Die Übersetzung wurde mit dem Paul Scheerbart-Preis 2010 ausgezeichnet.

„Jürgen Brôcans beeindruckender editorischer Leistung ist es zu verdanken, dass Whitmans sämtliche Gedichte nun erstmals in ihrem Kontext - versehen mit zahlreichen Interpretations- und Hintergrundinformationen - zu lesen sind. Zu Neuübersetzungen ist es nur dort gekommen, wo die bisherigen Übertragungen undeutlich oder falsch waren. Brôcan ist es zu verdanken, dass wir diesen großen Dichter Amerikas, der den Aufbruch seiner Nation aufmerksam begleitet und in Versform gebannt hat, nun wiederentdecken und heute noch einmal den historischen Momenten beiwohnen können, in denen eine ganze Nation der Welt ein selbstbewusstes »Salut au Monde« entgegen ruft." (Die Berliner Literaturkritik, 2.02.10)

 

Gesang meiner selbst

 

1 Ich feiere mich selbst und singe mich selbst, Und was ich mir anmaße, sollst du dir anmaßen, Denn jedes Atom, das mir gehört, gehört genausogut dir.

Ich schlendere und lade meine Seele ein, Ich bücke mich, schlendere behaglich und betrachte einen Halm des Sommergrases.

Meine Zunge, jedes Atom meines Blutes aus diesem Boden, dieser Luft geformt, Hier geboren von Eltern, die hier geboren wurden, und deren Eltern ebenfalls, und deren Eltern ebenfalls, Ich, siebenunddreißig Jahre alt jetzt, bei voller Gesundheit, beginne Und hoffe, nicht aufzuhören bis zu meinem Tod.

Glaubenslehren und Schulen im Ungewissen, Eine Weile auf dem Rückzug, begnügt damit, was sie sind, doch niemals vergessen, Ich bin Hafen für Gut und Böse, ich erlaube zu sprechen auf jede Gefahr, Natur ohne Zaum mit ursprünglicher Kraft.

 

3 Ich hörte, was die Schwätzer schwatzten, das Geschwätz von Beginn und Ende, Aber ich schwatze nicht von Beginn und Ende.

Es gab niemals mehr Anfang als heute, Niemals mehr Jugend und Alter als heute, Und es wird niemals mehr Vollkommenheit geben als heute Oder mehr Himmel und Hölle als heute.

Trieb und Trieb und Trieb, Immer der zeugende Trieb der Welt.

Aus der Düsternis treten gegnerische Gleiche, immer Substanz und Mehrung, immer Geschlecht, Immer ein Gewebe der Identität, immer Unterschied, immer Zeugung des Lebens.

Nähere Ausführung ist unnutz, Gelehrte und Ungelehrte spüren, daß es so ist.

15. März 2011

Der Abend mit Herbert Rosendorfer unternimmt eine gezielte Lektüre des umfangreichen Ouvres, das vorwiegend der phantastischen Literatur angehört und dabei klug, in Drehungen karnevalesker Rollenspiele, mit Elementen und der Tradition von Satire und Groteske Gesellschaftskritik und Geschichtsbewusstsein verhandelt. Der bitterböse Humor und das burleske Lachen werden dabei leichtfüßig als literarisches Mittel gegen Gesetze des Autoritären und Verbote der Macht einsetzt.

Nicht zuletzt versucht der Abend auch jenem Verhältnis auf der Spur zu sein, das Herbert Rosendorfers Werk zwischen literarischem Handwerk und dem Einfluss juridischer Grundfragen pflegt. „Der Jurist", sagt Herbert Rosendorfer, „schaut mir in meinem Schreiben immer über die Schulter, etwa in der Frage nach der Gerechtigkeit: Gerechtigkeit nicht unbedingt als Ziel der Rechtschaffenheit, vielmehr als Ding an sich."

Im Mittelpunkt des Abends stehen die Lektüren aus „Der Ruinenbaumeister" (1969), „Die Nacht der Amazonen" (1989) und ein jüngster, noch unveröffentlichter Text.

1969 erscheint Der Ruinenbaumeister. Der Kritiker Martin Gregor Dellin spricht in seiner Rezension in der Zeit von einem in sich verschachtelten Werk, in dem der Titel selbst zur Allegorie des Erzählens würde. Und entfaltet sich an Ruinen der Schauplatz des Erzählens, dann sind immer schon Zeiten ineinander gebrochen, Lebenszeit scheint sich auf Weltzeit zu weiten, oder aber Weltzeit scheint auf Lebenszeit zusammengedrängt. In der Ruine überlebt sich der Baumeister selbst. Und wird das Werk als Ruine gebaut, dann ersieht er an diesem bereits zu Lebzeiten sein Überdauern in Fragmenten der Weltzeit. Und so gehen in diesem Werk Zeiten ineinander über und ineinander aus, Schauplätze wechseln kontinuierlich, finden zu ihren je eigenen Sprachen und Rhythmen, die von der präzisen musikalischen Erörterung zum Dialekteinsprengsel der Tatzelwurmjagd im Hochgebirge sich spannen. Welten erscheinen als Fragment und als Fragment müssen sie neu erzählt werden: Gerüche werden über das Gehör wahrgenommen und Sprachlaute übersetzen sich in farbige Lichtsequenzen. Der Titel spielt auf Prinzipien des Erzählens selbst an. Erzählen konstituiert sich im ständigen Wechsel von Aufbau und Abbau, von Übergängen und Unterbrechungen, von Konstruktion und Dekonstruktion wie Destruktion. Vom Zugabteil gleiten wir in Parkanlagen, von Parkanlagen in einen Festungsbunker, der sich wie ein Zeppelin, wie eine Zigarre, in die Erde gebohrt hat mit tausendsechzehn Stockwerken. In diesem Festungsturm ist die Zeit auf Grund bestimmter technischer Veränderungen etwas ramponiert worden, sie, die absolute, ist eine andere geworden, ohne dass man wüsste, wie diese nun genauer zu bestimmen wäre. Die relative Zeit, die auf den Körper bezogene ist gleich geblieben: „Wenn man die Zeit gleichlaufend zur Körpertätigkeit, mit dem Wechsel von Hunger und Schlaf berechnet - relative Zeit - , die ist natürlich geblieben." Und betritt man diese in die Erde gebohrte Zigarre, dann ist es , als verließe man die Welt selbst. 1989 erscheint Die Nacht der Amazonen. Der Roman rekonstruiert aus Akten und historischen Dokumenten die Biographie des Christian Weber, der es vom einfachen Pferdeknecht in München dann zur NS-Größe gebracht hat. Der Roman setzt ein mit einer Personenbeschreibung aus dem Jahre 1921. Diese Personenbeschreibung endet lakonisch: „Die Beschreibung stammt aus einem Protokoll der Polizeidirection München, aufgenommen am 30. Oktober 1921. Grund der Vorführung des Delinquenten: Verdacht der Beihilfe zum Mordversuch. Name: Weber, Christian." Doch auch in diesem Roman wechseln die Stilelemente, auf verschiedenen Ebenen werden die Vorgänge zum Gegenstand des Kommentierens und des Erzählens. Auch in diesem Roman brechen andere Zeiten in die historische Zeit ein, es bricht die Nacht der Amazonen ein und an. Denn dem etwas rüpelhaften, nun zur Macht gekommenen ehemaligen Pferdeknecht gefällt es, Reiterspiele mit nackten BDM-Mädchen zu veranstalten. 1936, 37 und 38 finden die drei Nächte der Amazonen statt: „‚Nackt und schön müssen die Madlen sein‘, soll Christian Weber, ‚... der die oberste Leitung dieses Festes innehatte ...‘, gesagt haben." Doch auch dieser Roman Rosendorfers stellt die Frage nach dem Zusammenhang von Macht und Gesetz, Recht und Gerechtigkeit. Und im Vermerk einer kleinen Geste schreibt sich der Roman an die wohl bekannteste Geste in Kafkas Process-Roman heran. Wir erinnern uns: K nimmt vom Schreibtisch ein leeres weißes Blatt Papier und hebt es auf flacher Hand zu den Herren hinauf. Genau so wolle er die letzte Eingabe bei Gericht vornehmen. Bei Rosendorfer nun, nachdem Christian Weber, der es immer wieder mit der Justiz zu tun bekommen hatte, zur Macht gekommen war, lässt sich dieser nämliche Weber die Schriftstücke hinaufreichen: „Aber jetzt: 60 Mark. Weber zahlte nicht. Wieder tausend Ausreden. Sie reichten hin bis Januar 1933, und dann wagte keine Strafvollstreckungsbehörde mehr, Weber so etwas auch nur unter die Nase zu halten. Da saß Weber oben. Da wurden ihm Schriftstücke hinaufgereicht. Wenn sie ihm nicht paßten, schleuderte er sie verächtlich hinunter."

Diesen und ähnlichen Zusammenhängen will der Abend mit Herbert Rosendorfer nachgehen. Präsentiert sei dabei die Literatur eines scharfen Beobachters, der gesellschaftliche und historische Sitten und Zustände im bitterbösen Humor als fröhlichen Popanz enttarnt.

24. November 2010

Der Blick in die ost- und südeuropäischen Regionen, den die Literatur Lana in diesem Jahr verfolgt und dabei nach den Disparitäten eines eigenartigen Gefüges Europa fragt, führt zur Vorstellung des neuen Romans von Drago Jancar : Ein Mensch gerät in den Sog der Geschichte und der eigenen Vergangenheit - ein Verwirrspiel von Liebe, Krieg und unerfüllter Sehnsucht.

Die Memoiren eines nach Australien ausgewanderten Erotomanen ziehen den Archivar Janez Lipnik in ihren Bann. Er beginnt, sich mit dessen Bekenntnissen näher zu befassen und gerät in den Strudel einer Geschichte, die im besetzten Jugoslawien der 1940er-Jahre ihren Ausgang nimmt: Ein in den Kriegswirren verirrter Flüchtling findet bei der Lehrerin Zala Schutz. In ihrem Haus wird er Zeuge eines Gewaltaktes ihres Freundes, des Offiziers Aleksij, der sich schließlich als der spätere Verfasser der Memoiren herausstellt. Der Archivar Lipnik wird nach und nach selbst Teil der Geschichte, während sein eigenes Leben auseinanderbröckelt und seinen Erinnerungen und wahnhaften Fantasien weicht. Der Roman ist ein wunderbares Gewebe aus Rückblenden und Vorwegnahmen, in dem das Jetzt und das Früher, das Reale und das Fantasierte, das Historische und das Mythische ineinander übergehen. Das Slowenien von heute wird überlagert von der Zeit des Zweiten Weltkriegs und der Balkankriege der 1990er-Jahre - alles unter dem blätterlosen Dach des „Baums ohne Namen", der - für die verlorene und dennoch alles dominierende Erinnerung stehend - immer wieder auftaucht.

 

15. November 2010

Der allseits beliebte, eloquent literarisierende ungarische Autor Péter Esterházy, dessen Werk in einer Mischung von spielerischer Ironie und kritischer Schärfe Familiengeschichten als Teil der ungarischen Vergangenheit und als Teil gegenwärtiger Gesellschaftsphänomene reflektiert, stellt in Lana sein letztes Buch "Keine Kunst" vor. Das Buch, durchaus als Roman lesbar, folgt mühelos jenen Qualitäten, die John Updike Péter Estrházy bescheinigt hat: Er erreicht eine "elektrisierende Wirkung durch die körperlichen Detailbeobachtungen, welche aus dynamischen und zugleich konkreten Sätzen wie aus einem Nebel von Gefühlsambivalenzen gleichsam hervorspringen."

1985 hatte Esterhazy in den "Hilfsverben des Herzens" vom Sterben seiner Mutter erzählt. Jetzt erweckt er sie wieder zum Leben. Fast jeden Tag sieht er sie, während er diese Erzählung schreibt, sie essen zu Mittag, reden. Und er erfährt neue Geschichten - über die fünfziger Jahre, über die Fußball-"Wundermannschaft" von Bern, ihre Freundschaft mit den Fußballgöttern Hidekuti und Puskas, der ihr den Hof machte und dem es 1951 gelang, die Familie vor der Deportation zu bewahren. "Fußball ist ihr ganzes Leben, die Welt setzte sich im Kopf meiner Mutter aus den Vierecken des Fußballplatzes zusammen." Auf diesem Spielfeld lässt der Ich-Erzähler die uns bekannten Figuren aus seiner Familiengeschichte, Vater, Mutter, die Geschwister, auflaufen, aber in neuer Formation. Und wenn die Mutter ihm am Schluss den Text ihrer Todesanzeige diktiert hat, verlässt die Sprache das Spielfeld.

 

Worüber immer Péter Esterházy erzählt, es queren sich dabei immer kleine und große Geschichten, die das 20. Jahrhundert in seinen langen Schatten und bleibenden Spuren hervortreten lassen und immer wieder die Frage aufwerfen, wie die Sprache des 21. Jahrhunderts beschaffen sein muss als Sprache jenes Jahrhunderts, »in dem die Überlebenden des Holocaust sterben werden« und uns, die Nachgeborenen, in einem »furchteinflössenden neuen Alleinsein« zurücklassen.

In diesem Licht ist auch das Wort Imre Kertész' zu verstehen, wenn er meint, bei Esterházy sei »die Bedeutung der Sprache größer als die der Handlung«, die »Sprache« sei »der Protagonist« und die »Wörter die Figuren«.

 

19. Oktober 2010

Die Lesungen mit Serghij Zhadan und Juri Andruchowytsch, die letzthin in Lana stattfanden, gaben beeindruckende Einblicke in das zweitgrößte Land Europas, das nicht nur durch politische und gesellschaftliche Bruchstellen und Disparitäten gekennzeichnet ist und vermehrt von einer unvereinbaren Trennung von Realität und Mythos, von antidemokratischem Nationalismus und eurokratischer Orientierung geprägt ist. Auch die sprachliche und literarische Situation der Ukraine ist vielfach von vergleichbaren Brüchen getragen, die unterschiedliche Zentren gebildet haben: Dort entsteht Dichtung, die ästhetisch auf ganz unterschiedliche Traditionslinien verweist und inhaltlich verschiedene Themen verhandelt - auf Ukrainisch wie auf Russisch wird das Leben zwischen Karpaten, Krim und Donezplatte beschreiben und wird vertrackt nach der Verwurzelung zwischen dem Osten und dem Westen, zwischen langen Vergangenheiten und paradoxen Zukunftsentwürfen, zwischen europäischen und asiatischen Gesellschaftsmodellen gesucht.

 

 

18. Oktober 2010

2010 wird der N.C. Kaser Lyrikpreis zum 11. Mal vergeben, auf Vorschlag seiner Vorgängerin, der Preisträgerin 2008 Aase Berg aus Schweden.

Øyvind Rimbereid (*1966) lebt in Bergen, ist Lehrbeauftragter an der Skrivekunst-akademiet in Bergen und veröffentlichte Kurzgeschichten und mehrere Gedichtbände. Bisher erschienen vier Gedichtbände, u.a. „Solaris korrigiert (2004), für den er mit dem norwegischen Kritikerpreis ausgezeichnet wurde. Mit dem Band „Herbarium“ wurde Øyvind Rimbereid 2009 für den Literaturpreis des Nordischen Rates nominiert. Seine Lyrik, vielfach von Langgedichten getragen, zeichnet sich durch einen sehr klaren, melodiösen Ton und eine eigenwillige Textur aus einer Mischung von Sprachen und Dialekten aus, in der Rimbereid gesellschaftliche und existenzielle Reflexionen abhandelt und dabei den Blick häufig von alltäglichen Dingen oder von lapidar skizzierten Szenenbildern ausgehen lässt.

18. Oktober 2010

Der Vorabend zum 28. Oktober greift einen Grundgedanken des N.C.Kaser-Lyrikpreises auf, nämlich das Verlassen des konventionell oder ästhetisch Bekannten und das Über-setzen in fremde Territorien und Gangarten des Sprechens. Dies geschieht auch durch das Übersetzen in andere Sprachen, wie es auch N.C. Kaser erprobt hat. Peter Kofler wird über N.C. Kasers italienischsprachige Texte sprechen, die angesiedelt sind in einem Zwischen, welches eine klare Unterscheidung von Innen und Außen, von Zentrum und Peripherie, von Eigenem und Fremden untergräbt. Die Stimme, die sich in ihnen artikuliert, bildet einen dritten Raum, in dem der homogene und autochthone Charakter von Kultur, Nation, Heimat und Sprache unübersehbar in Frage gestellt wird. Gian Paolo Marchi wird eine exklusive, handgeschöpfte Publikation mit deutschen und italienischen Gedichten von N.C. Kaser vorstellen und über die Zweiprachigkeit und die Typographie der Texte N.C. Kasers sprechen.

Den Gedanken des Übersetzens aufgreifend, kann das sprachliche Original auch in andere Verhältnisse der Übersetzung treten und etwa übergehen auf die Ebene des Musikalischen. Die Vertonungen der Gedichte von N.C. Kaser durch Herbert Grassl führen solche Translation exemplarisch vor Augen. Was dabei entsteht und in Gang gerät, erforscht anhand einiger Einspielungen des Liederzyklus „bald ist mir nimmer kalt..." von Herbert Grassl das Gespräch zwischen dem Komponisten und Elmar Locher.

 

 

 

22. September 2010

Seit einer Weile beanspruchen die „Spoken-Word-Dichtung" und der Poetry Slam in der zeitgenössischen Poesie ein ganz und gar eigenständiges Territorium; dabei setzen sie mitunter gerade auf Abgrenzung zum elitären Literaturbetrieb und zu jenen Poetiken, die durchwegs den Traditionen der Kunst als selbstverständliche und unabdingbare Künstlichkeit folgen. Im literarischen Gefecht des Poetry-Slams stehen also exponiert das gesprochene, alltägliche Wort und das mündliche Entertainment.

Bei wenigen Poetry-Dichtern ist es nun zu erleben, dass sie diese Trennung zwischen Künstlichkeit und Alltäglichkeit, zwischen populärem und klassischem Bewusstsein spielerisch überwinden und in nahezu ursprünglich lyrischer Manier den Geist der geschriebenen mit dem Geist der mündlichen Sprache verbinden. Drei exzellente Beispiele dieser erneuerten Kunst treten bei Transart in Zusammenarbeit mit Literatur Lana im Parkhotel Laurin auf: Die Schule der Unruhe mit Jürg Halter (*1983) aus der Schweiz, Nora Gomringer (*1980) und Bas Böttcher (*1974).

Wie kaum andere verstehen es die drei Poeten je, der Sprache einen lautlichen und rhythmischen, einen verzückend oder erschreckend stimmgewaltigen Körper mit aufgeladenen semantischen Feldern zu verleihen und es dabei nicht zu verabsäumen, auch eine Spur Straßendreck unter den Nägeln zu haben, wie Thomas Kling von jeder geschriebenen wie von jeder gesprochenen Dichtung verlangte. Nach unterschiedlicher Herkunft führen sie ein Ernstnehmen jenes Sprechens vor Augen, das einem Rauschen im Ohr ebenso gerecht wird wie dem Bedeutungsspeicher, der den Wörtern mitgegeben und mitliefert ist und ohne dessen Kenntnis moderne Poesie nicht denkbar ist.

Wenn Nora Gomringer singt, psalmodiert oder seufzt, wenn Jürg Halter in strenger Rhythmik, Stimm- und Schnitttechnik Wort und Klang zelebriert, wenn Bas Böttchers Reden lyrische Form und mediales Format ineinander schneidet, dann geschieht es auf eine solche Weise, die in der ältesten Vortragsweise des Menschen Sprachmaterial auf seinen semantischen Bestand und auf seine kommunikative Beständigkeit hin abklopft. In diesem Moment und in diesem Sinn sind die Dichter nicht mehr allein Slam-Poeten, die die oral-verbale Akrobatik des Rhetorischen und das Sampeln aus Alltäglichkeiten professionell verstehen. Sie suchen vielmehr gekonnt poetische Sprechhaltungen auf und verwenden sie, um eine politische und kritische, eine melancholische, ironische oder subversive Teilnahme an Welt zu erproben.

So singen die Lieder und Gedichte von Aufbruch, heimat- und Idetnitätssiche, um Ankunft und Liebe, von der Kapitulation vor der Unterträglichkeit der kapitalistischen Gegenwart, von den abstrusen Facetten einer Jetztzeit und den Rührungen inniger  Lebensmomente. Nicht weniger kommen gewitzte Ideologie- oder Sprachkritik, Märchen- oder Literaturmotive zum Einsatz, die souverän, manchmal scharfsinnig, manchmal leichtfüßig ins Spiel gebracht werden.

14. September 2010

Der polnische Dichter Tadeusz Dąbrowski (*1979) und Andre Rudolph aus Leipzig (*1975) lesen aus ihren Büchern „Schwarzes Quadrat auf schwarzem Grund" (2009) und „Fluglärm über den Palästen unserer Restinnerlichkeit" (2009). Sie stellen damit eine junge Lyrik voll unerwartbarer Kombinatorik des Alltäglichen und Abstrakten vor und verhandeln so klug wie ironisch die Erfahrungen einer modernen Generation. Bar jeglicher angestrengten Originalität eines Dichtens, das Attitüden einer trendigen Coolness oder einer doktrinären Gelehrsamkeit annehmen mag, ist die Lyrik von Dabrowski und Rudolph voller ironischer Anspielungen und schillernder Assoziationsgeflechte, aber auch von einem trockenen Skeptizismus, in dem eine Gegenwart nach der euphorischen Utopie einer "Festung Europas" erfahren wird.

Über den diesjährigen Meraner Lyrikpreisträger Andre Rudolph schreibt das titel-magazin: „Vertrackte Bilder schlingern im Kopf, während man diese Gedichte liest. Ins Eindeutige übersetzen kann man sie glücklicherweise nicht. Zwar sind wir die Leser, aber gleichzeitig der ebenso vertraute wie hermetische Text, bis hin „zum fließtext der leiber". Gern bleiben wir unentziffert, aber das gelingt nur selten. In der Bewusstlosigkeit der Liebe vielleicht."

Andre Rudolph wurde 1975 in Warschau geboren und ist in Leipzig aufgewachsen. Das Studium der Germanistik, Philosophie und Slawistik schloss er mit einer Dissertation über J.G. Hamann ab. Derzeit ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an einem Forschungsinstitut in Saale und lebt in Leipzig.

Veröffentlichungen in Zeitschriften und Anthologien, u.a. Sinn und Form, Ostragehege, Edit, BELLA triste, 2009 Fluglärm über den Palästen unserer Restinnerlichkeit (Gedichtband).

 

Über den polnischen Dichter Tadeusz Dąbrowski schreibt der Tagesspiegel: „Diese erstaunlichen Gedichte tragen tatsächlich etwas unterschwellig Widerständiges mit sich, und so kann man Krüger nur darin zustimmen, dass hier ein Junger drauf und dran ist, die große Tradition der polnischen Lyrik auf seine Weise fortzuschreiben: indem er anknüpft an das „skeptische Dichten und Denken jenseits der Ideologien", wie es etwa die Nobelpreisträgerin Wislawa Szymborska oder der menschenkluge Melancholiker Adam Zagajewski vertreten."

Tadeusz Dąbrowski wurde 1979 geboren und ist Lyriker, Essayist, Kritiker und Redakteur der Literaturzeitschrift Topos. Er ist mit zahlreichen Literaturpreisen ausgezeichnet worden, u.a. mit dem Hubert Burda Preis für junge Lyrik, und ist Stipendiat des Literarischen Colloquiums Berlin. Seine Gedichte wurden in mehrere Sprachen übersetzt. In Deutsch erschienen seine Texte in den Literaturzeitschriften Sprache im technischen Zeitalter, Lichtungen, manuskripte, Akzente u.a.m.

18. August 2010

Barbara Honigmann stellt im Rahmen der Kulturtage 2010, die dem Thema der Erinnerung und ihrer Phantasmen folgen, einen Teil ihres Werkes vor, das unentwegt ein Stück europäische, speziell deutsche Geschichte der Kriege und Diktaturen in einem sehr diffizilen und feinfühligen literarischen Schreiben verfolgt. In Lana liest die Autorin v.a. aus dem Buch "Ein Kapitel aus meinem Leben". Zu: "Ein Kapitel aus meinem Leben":

Mit der Geschichte ihrer eigenen Mutter erzählt Barbara Honigmann nüchtern, poetisch und bewegend das unglaubliche Leben einer außergewöhnlichen Frau im Europa der Kriege und Diktaturen. "Ein Kapitel aus meinem Leben", so nannte ihre Mutter Lizzy mit betontem understatement das heikelste Kapitel dieses ungewöhnlichen Lebens: ihre Ehe mit dem weltberühmten "Meisterspion" Kim Philby, der als sowjetischer Agent in England arbeitete und später in die Sowjetunion flüchtete.

"Alltägliche Weltgeschichte: Was für ein aufregendes, kluges, hinreißendes Buch... Barbara Honigmann erzählt von ihrer Mutter. Doch deren Biografie ist so unvergleichlich und von solcher Dynamik, dass sie ganz eigene Perspektiven auf die deutsche Vergangenheit des 20. Jahrhunderts eröffnet. Zudem schreibt sie mit so federnder Leichtigkeit, mit so viel warmherziger Ironie der Mutter und gelassener Distanziertheit der eigenen Person gegenüber, dass dieses Buch nicht nur zu einer intellektuellen Bereicherung, sondern zugleich zu einem großen Lesevergnügen wird... Ein kleines Wunderding: schön, souverän, eindringlich." Uwe Wittstock, Die Welt.

"Ein berührendes und unterhaltsames Porträt einer eigenwilligen Frau, ein vielschichtiges Zeitbild, in dem sich individuelle Widersprüche in den Paradoxien der Zeitgeschichte spiegeln. ... So souverän und zugleich liebevoll muss man die Freiheiten des biografischen Schreibens erst einmal auszureizen wissen." Sibylle Birrer, Neue Zürcher Zeitung.

"Barbara Honigmanns Buch ist ein sprachliches und erzählerisches Ereignis." Volker Breidecker, Süddeutsche Zeitung.

 

Besonders begrüßt wird bei den Kulturtagen 2010 der Georg-Büchner-Preisträger 2010, Reinhard Jirgl.

In der Begründung der Georg-Bücher-Preis-Jury 2010 heißt es, Jirgl habe in seinem Romanwerk "von epischer Fülle und sinnlicher Anschaulichkeit ein eindringliches, oft verstörend suggestives Panorama der deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert entfaltet". Dabei lasse er die historischen Umbrüche aus unterschiedlichsten Perspektiven alltäglichen Erlebens gegenwärtig werden und mache so zuletzt in den großen Romanen Die Unvollendeten und Die Stille die Stimmen der Vergessenen und Verschütteten wieder hörbar. Von Katastrophen, Kriegen und Vertreibungen erzähle er mit Sensibilität und Leidenschaft.

In Lana wird Reinhard Jirgl aus dem 2009 erschienenen Roman "Die Stille" lesen:
Einhundert Jahre aus der Geschichte zweier Familien und aus der Geschichte eines Landes: Reinhard Jirgls "Die Stille" ist das monumentale Epos des langen Jahrhunderts.

Am Anfang steht ein Fotoalbum, die ältesten Bilder sind über achtzig Jahre alt: einhundert Fotografien zweier Familien, die eine aus Ostpreußen stammend, die andere aus der Niederlausitz. Zwei Weltkriege, Inflation, Flucht, Vertreibungen haben diese beiden Familien über fünf politische Systeme hinweg, von der Kaiserzeit bis heute, überlebt.
Diesen einhundert Fotografien folgend erzählt Reinhard Jirgl in seinem neuen großen Roman mit unterschiedlichen Erzählstimmen aus verschiedenen Zeiten und Perspektiven Geschichten von Verletzungen, Liebe und Verrat; erzählt von einem Glücksspieler, der seine Familie in Tod und Ruin treibt; von einer fatalen Geschwisterliebe; von Menschen, die sich nicht abfinden wollen mit dem wenigen, das ihnen der Alltag vorsetzt.
„Dies ist große Literatur, widerspenstig und ein gewaltiger Rammbock in den gegenwärtigen Moden", schrieb Helmut Böttiger in der Frankfurter Rundschau. "Die Stille" bestätigt Reinhard Jirgls außergewöhnlichen Rang.

 

 

25. Mai 2010

Vor 30 Jahren wurde in Lana der Verein der Bücherwürmer gegründet. Seither ist das Dorf im Etschtal ein Ort, an dem Poesie und ein Denken über Sprache ermöglicht und ausgetauscht werden, an dem Literatur geschieht. Das bedeutet ein Hören auf die Sprache, ein Wahrnehmen der Differenzen und der Vertracktheiten, ein Nachgehen der Sprache nach ihren Herkünften, nach ihren Läufen und Irrläufen, nach ihren Umwegen und Umständen, ohne Absicht und ohne Zweck. So ist Lana mit den Bücherwürmern vielleicht zu einem bemerkbaren, auch überraschenden, zuweilen unberechenbaren Punkt auf der Landkarte der Literatur geworden, der Dichter, die in ihrem Tun einsam der Sprache nachgehen, an einem abseitigen Ort versammelt und sie für eine kurze Weile im Gespräch beisammen hält. Und während vielfach Gemeinplätze so eilig und eitel Kulturwelten bauen, dass Gewolltes und Gemachtes mit einem Versprechen und Behaupten auch schon zu Ende sind oder vorbei, seien in Lana dem literarischen Wort stilles Gehör und ein offener Raum geschenkt. Dann vielleicht kann ein Denken des poetischen Sprechens in die Zeit gehen und wieder und wieder bringen, was uns von ihr bleibt.

Was sich an Begegnungen in Lana ereignete, hat sich vielfach weiter getragen und bewegt. So, wie es etwas hinterlassen und dem Ort gegeben hat, hat es oft auch etwas mit genommen und in ein Sprechen und Weitersprechen befördert, manches und mancher ist aufgetaucht und wieder gekehrt und hat, auch fremdelnd, etwas aufgefunden, was da- und dorthin erinnert. Und wenn das passiert, dann verorten sich möglicherweise Stimmen, die auch in Lana gehört wurden, da und dort wieder, an einem nächsten Ort und in einem nächsten Wort im Gedicht, im Erzählen und im Gespräch.

Wie nun, wenn nicht als wiederholt versuchte Verortung des Worts wollte sich das literarische Projekt von Lana vorstellen und sein 30-jähriges Bestehen feiern? Die Bücherwürmer wollen das mit einem literarischen und geselligen Fest tun und laden Sie alle dazu ganz herzlich ein!

17. Mai 2010

Tomas Venclova, der als der bedeutendste Lyriker Litauens gilt, aber auch als Übersetzer, Publizist und Literaturkritiker hervorgetreten ist, wurde 1937 in Klaipeda (Litauen) geboren. Nach dem Studium der Lituanistik und russischen Literatur in Vilnius war er Lehrbeauftragter für Literaturgeschichte und Semiotik in Vilnius. Von 1961 bis 1965 lebte Tomas Vencloca in Moskau und von 1969 bis 1972 Leningrad. In dieser Zeit hielt er sich in Literatur-Dissidenten-Kreisen  und engagierte sich in der Bürgerrechtsbewegung, es entstanden aber auch die Freundschaften mit Joseph Brodsky, Alexander Ginzburg und Anna Achmatowa. Durch die Vermittlung von Czeslaw Milosz konnte er 1977 Litauen verlassen und eine Dozentur an der University of Berkeley antreten. Während seines Aufenthalts in Berkeley wurde ihm die sowjetische Staatsbürgerschaft aberkannt, und er erhielt politisches Asyl in den USA. Nach Lehraufträgen in Berkeley und Los Angeles unterrichtete Venclova seit 1980 slawische Literatur in Yale, seit 1993 als Professor. Er übersetzte Anna Achmatowa, Boris Pasternak, Joseph Brodsky, Ossip Mandelstam u.a. Seine Gedichte, für die Tomas Venclova mit internationalen Preisen geehrt wurde, sind in fast alle osteuropäischen Sprachen übersetzt worden.

 

Das Werk von Tomas Venclova entstand zum größten Teil im amerikanischen Exil. Venclovas Übersetzer, der Autor und Essayist Durs Grünbein bezeichnet dessen Gedichte begeistert als "das Unzeitgemäßeste, was die zeitgenössische europäische Poesie zu bieten hat" und Thomas Kling bezeichnete ihn als den „Odysseus vom Mare Baltikum".

Venclova setzt sich in seinem Schaffen mit der verlorenen Heimat auseinander, zudem mit den Naturbildern der Landschaft und der Sprache, die ihm die Möglichkeiten zu einer bedeutenden und in ihrer Tiefe betörenden Lyrik verschafft.

Tomas Venclova äußert sich immer wieder auch zu den politischen Entwicklungen seines Landes und zu Fragen Europas, etwa wie kürzlich, als er erklärt, warum er die litauische Gesellschaft für rückwärtsgewandt hält. "Ich fürchte immer noch das Problem, das schon zu sowjetischen Zeiten bestand. Man hat nämlich auch heute Angst vor der öffentlichen Meinung: 'Was wird Herr X sagen? Verliere ich mein Ansehen? Auch wenn ich ein Intellektueller bin, unterscheide ich mich etwa von der Mehrheit?'

 

In Deutsch zuletzt: "Vor der Tür das Ende der Welt. Gedichte" (Rospo 2000 / Hanser Verlag 2002); "Ich meine, dass... - Gespräche mit Tomas Venclova." (Verlag Baltos Lankos, 2000); "Gespräche zur Zukunft der Erinnerung" (Dokumentation einer Veranstaltung des Goethe Institut Vilnius, mit Günter Grass, Czeslaw Milosz, Wislawa Szymborska. Steidl Verlag, 2001); "Stadtführer Vilnius" (R. Paknio Verlag, 2002); "Vilnius, eine Stadt in Europa" (Edition Suhrkamp 2006); "Gespräch im Winter" (Suhrkamp Verlag 2007).

"Venclovas Lied beginnt dort, wo die Stimme sonst gewöhnlich abbricht, sich verausgabt hat und wo alle seelischen Kräfte erschöpft sind." (Joseph Brodsky)

Man wird lange suchen müssen in den Weiten Osteuropas, um eine auch nur annähernd so abgeklärte Stimme zu finden, eine Stimme von so lakonischer Schwere, so unerschütterlicher Gefasstheit." Durs Grünbein

17. Mai 2010

Serhij Zhadan, 1974 im Gebiet Luhansk/Ostukraine geboren, studierte Germanistik, promovierte über den ukrainischen Futurismus und gehört seit 1991 zu den prägenden Figuren der jungen Szene in Charkiw, wo er auch heute lebt. Serhij Zhadan wurde 2006 mit dem Hubert Burda Preis für junge Lyrik ausgezeichnet.

Publikationen auf Deutsch: „Anarchy in the UKR. Roman" (Aus dem Ukrainischen von Claudia Dathe. Suhrkamp 2007); „Depeche Mode. Roman"  (Aus dem Ukrainischen von Juri Durkot und Sabine Stöhr. Suhrkamp 2007); „Die Selbstmordrate bei Clowns. Erzählungen" (Aus dem Ukrainischen von und mit einem Glossar von Claudia Dathe. Edition Foto Tapeta 2009); „Hymne der demokratischen Jugend. Erzählungen" (aus dem Ukrainischen von Durs Grünbein und Claudia Sinnig. Suhrkamp 2009).

Als „ukrainischer Rimbaud" gehört Serhij Zhadan mit Mitte dreißig bereits zu den bedeutenden Vertretern der osteuropäischen Literatur, die den Veränderungen und Entwicklungen der ehemaligen Sowjetstaaten mit allem kritischen Scharfsinn, aber auch mit aller Anteilnahme auf der Spur sind. Dabei trägt Zhadan, bekannt für seine anarchistisch kühne, düster komische Utopieresistenz, seine Texte in einer fulminant rasanten, aber immer auch berührenden Erzählweise vor, die eine ukrainische Lebenswirklichkeit ebenso präsent hält wie einen reichen literarischen Kosmos. „Ich denke, wenn es eine direkte Verbindung zu Gott gäbe,/ ginge sie über jene warmen, braunen Hüllen/ polnischer Rockplatten/ mit den leichten Kratzern von Gottes Fingernägeln/ auf der schwarzen Fläche..."

Anhand von zwei literarischen Texten schildert Serhij Zhadan in Lana Erfahrungen postsowjetischer Umbruchzeiten. Während die Rede „Immigrant Song" in Splittern aus politischer und gesellschaftskritischer Reflexion, aus komischer Erzählung und nüchterner Bestandsaufnahme über die Diskrepanzen und brüchigen Verhältnisse redet, die ein Megakapitalismus im Osten wie im Westen Europas hinterlässt, erzählt der 2009 erschienene Erzählband „Hymne der demokratischen Jugend" von einer neuen Generation von jungen Leuten in Charkiw, die alles haben außer Geld: Sie haben Zeit, verrückte Ideen und leben von einer fast idiotischen Hoffnung, dass ihre Träume wahr werden könnten, obwohl die durch die Transformationszeit zerbrochene Gesellschaft mit sich selbst schon genug zu tun hat.

14. April 2010

Zur Reihe „Erinnerungen an Europa"

2008 folgten die Kulturtage Lana in literarischen und wissenschaftlichen Annäherungen einer „Archäologie der Phantasie", und den Kulturtagen 2009 stand motivisch ein Zitat von W.G. Sebald voran: „Zerstöret das Letzte, die Erinnerung nicht". Ein solches Augenmerk, das in den letzten beiden Jahren also Felder und Fragen der Literatur Lana bestimmte, kehrt ein wesentliches Moment einer künstlerischen und reflexiven Auseinandersetzung hervor, welches das, was Kunst und Literatur selbst immerzu im Rücken haben, nahezu fordernd auch zu deren Betrachtung herbei ruft; es ist dies das Moment der Erinnerung, das gar nicht an den Grund, den es etwa als Endstation eines Verstehens gar nicht gibt, vielmehr an Herkunft und Anteilnahme des literarischen Schreibens rührt. Und wenn dieses Hervorkehren und Wiederkehren der Erinnerung vielleicht auch kein definitives Fazit hervorbringt, keine Erklärung, auf die jederzeit Verlass wäre, so hält sie doch wach, was gewesen ist, und bewahrt davor, dass es vergessen wird.

In den kommenden Lesungen im Mai und Herbst dieses Jahres wird das Thema der Erinnerung an tiefe zeitgeschichtliche Umwälzungen Europas gebunden und in Begegnungen mit bedeutenden Vertretern der ost- und mitteleuropäischen Literatur konkretisiert.

Fragen nach einem veränderten Europa, nach Unversöhnlichkeiten zwischen Vergangenem und Gegenwärtigem, nach zwiespältigen Erfahrungen, die den langen Nachhall von vergangenem Glück und Leiden tragen, sollen Lektüren und Gesprächen mit Dichtern und Schriftstellern vorangestellt werden. Nicht weniger jedoch wollen die Stimmen in ihrer jeweiligen ästhetischen Eigenart und kritischen Differenzierung wahrgenommen werden und so Einblicke gewonnen werden in die so vielfältigen und auch unbekannten Geschichten und Stimmen eines unergründlichen Europa.

Den Auftakt der Reihe macht die Schriftstellerin, Übersetzerin und Wissenschafterin Ilma Rakusa. Ihr folgen ein Abend mit dem bedeutendsten lebenden Dichter und Literaturwissenschaftler Litauens, nämlich mit Tomas Venclova (21. Mai 2010) und eine Begegnung mit Serhij Zhadan, dem fulminant erzählenden jungen Autor der Ukraine (26. Mai 2010).

Im Herbst wird die Reihe „Erinnerungen an Europa" fortgesetzt mit Juri Andruchowytsch, Andrzej Stasiuk, Vincenzo Consolo u.a.

29. März 2010

Eine etwas unorthodoxe, vielleicht auch verquere Dichterpaarung geht der literarische Abend mit der vielseitigen Wortkünstlerin, Performerin und streitbaren Literaturtheoretikerin Ann Cotten (* 1982) aus Berlin und mit dem seit den 50ern in Rom lebenden, im slowenischen Fiume geborenen Valentino Zeichen ein. Beiden Dichtern ist eine je unkonventionelle, eine durchwegs widerständige Art eigen, die sich bei Ann Cotten in unerwarteten Auftritten der Performance zeigt oder darin, wie sie gegen Selbstverständlichkeiten von vermeintlichem Verstehen klug anrennt. Poetisch dreist und theoretisch versiert bedient sich Ann Cotten unverfroren experimenteller und linguistischer Ansätze und scheut es nicht, durchaus waghalsig Grundlagenforschung von Erkenntnisprozessen zu unternehmen. Unterhaltsam ist dabei allemal Ann Cottens Fähigkeit der ostentativen Performance, die mit Rhythmen, Tönen und Lauten eines Musikers spielt.

Valentino Zeichen, dessen jüngstes Buch, Neomarziale (Mondadori, 2006), eine ironisch-epigrammatische Auseinandersetzung mit dem wahlverwandten Dichter Martial ist, ist der vagabundische Bohème der italienischen Dichter, der römische Flaneur, der noble Bettelpoet, der auf Lebensversicherungen und feste Anstellung ebenso pfeift  wie auf ein sicheres Dach über dem Kopf und einen sicheren Sitz im Leben. Ohne sich jeglicher Ideologie unterzuordnen, hat Valentino Zeichen seine Position stets allein aufgrund seiner literarischen  Experimentierfreude und Leistungen festigen können. Die autarke Poesie Zeichens, die, von der Rezitation herkommend, stets das Sprachspiel beherzigt, sucht den „Balanceakt zwischen metaphysischer Ironie und frivoler Weltgewandtheit, exhibitionistischem Scharfsinn und wütenden Wahrheiten" (Niva Lorenzini). So sieht man Zeichen auch als den „einfallsreichsten und unregelmäßigsten italienischen Schriftsteller" (Klappentext von Ogni cosa a ogni cosa ha detto addio), der auf bestem Wege ist, ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht im deutschen Sprachraum geltend zu machen.

 

29. März 2010

Mit der Veranstaltungsreihe "Denkwürdige Destillate" werden italienische und deutsche Stimmen der Gegenwartspoesie in Bozen vorgestellt, darauf vertrauend, dass in einer Stadt und Kultur der Zweisprachigkeit dem entsprechende Literaturen im Tandem ins Gespräch zu bringen sind.

Den dritten Abend der Reihe bestreiten die deutsche Dichterin Marion Poschmann und der italienische Dichter, Romancier, Kritiker und Herausgeber Maurizio Cucchi.

Marion Poschmann stellt in Bozen erstmals den eben den im Hauptprogramm des Suhrkamp Verlags erschienenen Gedichtband "Geistersehen" vor. Der Dichterin, die sich in der deutschen Poesielandschaft sehr eigenständig und von Moden und Zirkeln unabhängig behauptet, ist ein höchst feinsinniges Schreiben eigen, das in einer "literarischen Wachsamkeit und Wahrnehmungsfähigkeit" (Michael Braun) Landschaften und ihre Geschichtlichkeiten höchst reflexiv und virtuos abmisst und es nicht scheut, einen aufwenigen Bilderreichtum in Szene zu setzen, um eingeschriebene und neu entworfene Konnotationen wach zu rufen.

Über Maurizio Cucchi, den großfürstlichen Literaten der italienischen Szene, schreibt der Kritiker Roberto Galaverni:

"Le tante figure e figurine di Cucchi, perse nella città come nel tempo (anche in Vite pulviscolari ce ne sono di molto riuscite), sono infatti il termine di una considerazione, o meglio di un contatto. E alcuni attributi di questa poesia, come il silenzio da cui sembra ogni volta sgorgare, la fermezza dell'intonazione, la decisione della pronuncia, come se il poeta non volesse concedersi il modo di tornare indietro, sono esattamente gli elementi intesi a stabilirlo questo contatto, e soltanto secondariamente possono considerarsi una componente espressiva, o stilistica. Coincidono, in sostanza, con la possibilità stessa del raggiungimento e dell'enunciazione dell'altro, vale a dire della persona di cui sempre e inevitabilmente la poesia di Cucchi è in cerca. Il suo nucleo poetico è lirico-emotivo, profondo e viscerale, e non, come potrebbe sembrare, progettuale e narrativo. Semmai molta parte del fascino di questa poesia deriva proprio dalla sproporzione tra la condizione di sogno-oscurità che presiede alla poesia (dove l'oscuro qui, come nei bambini, è il buio) e l'estremo rigore compositivo, il controllo sempre vigile dell'espressione." (Roberto Galaverni, Alias/il manifesto)

 

 

Josef Oberhollenzers Werk gehört zu den wichtigsten Literaturen Südtirols, die kraft ihrer poetischen Fähigkeit die Ambivalenz von Heimat und Herkunft eindringlich zu vermitteln vermögen: Bei kaum einem anderen Autor nach N.C. Kaser werden die rigiden und monotonen Abläufe einer ländlichen Gesellschaft in ihrer Faszination und Wärme wie auch in ihrer Stumpfheit und Grausamkeit so überzeugend in Kunst übersetzt. Dies geschieht nämlich nicht in der Beschreibung und Benennung der Dinge, die geschehen, vielmehr dadurch, dass sie in das künstliche Mittel der Literatur überführt werden.

Mit diesem Frühjahr legt Josef Oberhollenzer einen neuen Erzählband unter dem Titel „Der Traumklauber", erschienen im Folio-Verlag, vor:

 

 

Einer verleibt sich die Träume der anderen ein, wo immer er ihrer habhaft wird - ein Traumklauber, der fremde Träume zu den eigenen macht.

Oberhollenzer erzählt uns, wie der Traumklauber zu seinen Träumen kommt; 52 davon (so viele, wie das Jahr Wochen hat) erzählt er uns in diesem Buch: schöne, traurige, grausame Träume - oder Schwesternträume, Elternträume, Großmutterträume. Geträumt von einem Vertreter, einem Pfarrer, einem Hund, aber auch von Andreas Hofer, Tirols Nationalhelden, oder von Arnold, der Hauptfigur aus Oberhollenzers »Großmut­termorgenland« - sie alle träumen im »Traumklauber« ihren Traum. Es wird erzählt, wie K., der Kindheits­freund des Erzählers, als Kind den Kopf einer Henne aufbricht und dann, später, den Kopf seiner Frau: weil er wissen will, was die Henne oder die Frau, die da neben ihm schläft, träumt.

Indem Oberhollenzer uns die Träume der anderen durch seinen Traumklauber erzählen lässt, kunstvoll aneinander gereiht - ähnlich einer Traumgalerie -, entsteht allmählich das Bild des Traumklauber selbst, das Bild eines Menschen, der nicht träumen kann - und der doch alles dafür täte, es zu können, um endlich glücklich zu sein.

 

 

29. März 2010

„Denkwürdige Destillate". Reihe zur deutschen und italienischen Gegenwartslyrik

Südtirol, notorisch-autonome literarische Nicht-Provinz, von deutschsprachigen Autoren dicht besiedelt und auch zahlreich besucht, nimmt auf der Landkarte der poetisch ausgezeichneten Orte einen merklich markanten Platz ein. Indes kaum oder wenig zu Gast waren in den vergangenen Jahren die Protagonisten der zeitgenössischen italienischen Poesieszene. Die Veranstaltungsreihe „Denkwürdige Destillate", die mit diesem Frühjahr wieder aufgenommen wird, hat sich zum Ziel gesetzt diese Lücke zu schließen und in Lesungen, Hommagen, Porträts und Begegnungen der geographisch-sprachlichen Ausgangskonstellation Genüge zu tun, die Aufmerksamkeit also nachhaltig auf poetische Strömungen und Entwicklungen des heutigen Poesieschaffens in Italien zu lenken.

 

In einem seiner berühmtesten Gedichte hat Eugenio Montale die Sprache - la lingua - anagrammatisch mit dem Aal - l' anguilla - enggeführt: Durch das aal-artige, all-waltende Geschlängel und Gedrängel des Poesiegeschehens auf der Halbinsel möchte die Reihe im Programm der Bücherwürmer von Südtirol in Serpentinen bis nach Sizilien vordringen, um die Koordinaten der neueren italie­nischen Dichtung aufzusuchen. Waren es in den Begegnungen mit Franco Loi und Antonella Anedda, mit Milo de Angelis oder Fernando Bandini die italienischen Autoren, die einen Weg in das in beiden Sprachen bewanderte Publikum fanden, so ist nun dem Tandem aus italienischen und deutschen Dichterinnen zu vertrauen: Die Reihe „Denkwürdige Destillate" wird, unter diesen Prämissen, im Frühling 2010 an drei verschiedenen Abenden einige der vielschichtigsten und ästhetisch eigenwilligsten Stimmen der deutschen und italienischen Poesieszene in der Galerie Museum in Bozen begrüßen und sprachliche Aggregatzustände wie dichterische Haltungen kühn vermischen.

 

Den diesjährigen Auftakt macht die römische Dichterin Patrizia Cavalli, die 1974 mit dem, Elsa Morante gewidmeten Band Le mie poesie non cambieranno il mondo debütierte und heute, nach Zyklen wie Sempre aperto teatro (Turin, 1999) oder Pigre divinità e pigra sorte (Turin, 2006) von Philosophen, Kritikern und Leserinnen gleichermaßen geschätzt, die italienische Dichtung der zweiten Jahrhunderthälfte wie kaum eine andere ihrer Generation zu prägen vermochte. Der jüngst erschienene, zweisprachige Auswahlband Diese schönen Tage (Hanser Verlag, Übersetzung: Piero Salabé) ist ein Grund mehr, die Dichterin in Bozen zu begrüßen und mit ihr Bilanz aus über 30 Jahren poetischer Tätigkeit zu ziehen.

 

Den zweiten Abend (9. 4.) wird die vielseitige Wortkünstlerin, Performerin und streitbare Literaturtheoretikerin Ann Cotten (* 1982) aus Berlin mit dem seit den 50ern in Rom lebenden, im slowenischen Fiume geborenen Valentino Zeichen bestreiten, dessen jüngstes Buch, Neomarziale (Mailand, 2006), eine ironisch-epigrammatische Auseinandersetzung mit dem wahlverwandten Dichter Martial, bei Mondadori erschienen ist. Gemeinsam mit der Dichterin und Romanautorin Marion Poschmann (*1969), deren neuer Band Geistersehen in wenigen Wochen bei Suhrkamp erscheint, liest am 16. 4. der 1945 in Mailand geborene, seit dem Debütband Il Disperso aus der italienischen Poesielandschaft nicht mehr wegzudenkende Dichter, Kritiker und Verlagsbeauftragte Maurizio Cucchi, dessen jüngste Veröffentlichung Vite pulviscolari (Mailand, 2009) zu den wichtigsten Titeln des vergangenen Bücherherbstes gehört.

„In dem Vortrag wird es um die Bedingungen gehen, unter denen bedeutende Lyrik entstehen kann. Es geht also um geschichtliche Fragen, um Fragen der Sprache, der Überlieferung und um biographische Vorausset¬zungen von Gedichten. »Sternstunden« sind lange vorbereitet, und wenn man über sie nachdenkt, kann man mehr verstehen lernen über die Bedingungen des Schreibens, über die Literatur und vor allem über das ganz konkrete Gelungensein der Gedichte Ingeborg Bachmanns und Paul Celans. Bei diesen - vielleicht - bedeu¬tendsten Dichtern nach 1945 finden wir auch in den persönlichen Briefen viele Hinweise zu einem besseren Verständnis ihrer Gedichte.
Es wird also in dem Vortrag letztlich über das Lesen von Gedichten gehen, um die immer neue alte Frage, wie man Gedichte lesen kann und wie sie uns Einsichten in die Menschen und in unsere Welt eröffnen können." (Hans Höller)

 

 

19. Oktober 2009

Ist eine Institution Kultur- und Kunststätte, findet ihr Tun über die vereinzelten Tätigkeiten und über die punktuellen Ereignisse hinaus statt; solches Tun tradiert Fragen, gewissermaßen unfertig, sofern sie sich nicht an Lösungen binden, die sie aufheben und an ein Ende bringen, sondern vielmehr an Formen, die sie fortsetzen und die übersetzen auf einen folgenden Einzelfall, den Einfall des Singulären. Rückgekoppelt an seinen eigenen Verlauf, spielt sich also im Fortsetzen und Übersetzen das Tun einer Institution ab, die fragend Kunst und ein Denken verhängt. Es ist ein Fortsetzen, gebunden an den Rückhalt des Glücksfalls in der eigenen Geschichte, offen auf Ausblicke und Auslöser hin, die ein weiteres Ereignis und ein nächstes Sprechen nach sich ziehen und etwas bewirken, ohne es auf den Punkt, vielmehr in Bewegung zu bringen.

In diesem Sinne beziehen sich auch die Bereiche, welche die Institution der Literatur Lana tragen, aufeinander und durchqueren sich in ihren Ausrichtungen und Aufmerksamkeiten. Zwei davon sind die Vergaben des internationalen N.C.Kaser-Lyrikpreises und des Literaturstipendiums, das getragen ist von der Marktgemeinde Lana und unterstützt von der Stiftung Südtiroler Sparkasse. Sucht der N.C. Kaser-Preis Lyrik auf, die kulturpolitisch und konventionell unfirmiert poetisches Sprechen erprobt und mitunter auch sehr eigenwillige Wege geht, so will auch mit dem Stipendium in Lana ein Arbeiten gestärkt und gefördert werden, das die Dichtung ins Zentrum stellt und sie literarisch, wissenschaftlich oder übersetzerisch durchdringt und erforscht. Es bekommt also die Poetik einen zentralen Stellenwert, wo ein lyrisches Handeln verhandelt und verortet wird, seine Selbst-Reflexion und sein Gedächtnis in Sprache. Das Literaturstipendium Lana will junge Literaten, die dem dichterischen Denken auf der Spur sind, unterstützen. Durch einen sechswöchigen Aufenthalt in Lana und durch eine Summe von 4.000 € soll ihr Schreiben honoriert und angeregt werden und nicht zuletzt wieder rückwirken auf den Ort und das Tun der Literatur Lana.

Nach Silke Scheuermann und Monika Rinck ist die Übersetzerin und Essayistin THERESIA PRAMMER die dritte Stipendiatin in Lana.

Theresia Prammer (*1973) arbeitet vorwiegend als Übersetzerin aus dem Italienischen und Französischen sowie als Wissenschaftlerin der deutschen und italienischen Literatur; nicht weniger präsentiert sie Lektüren in Kommentaren, Essays oder Autorenvorstellungen, in denen sie Lesarten exemplarisch als ineinander fließende Denkarten der Sprache, des Sprechenden und Lesenden vorführt. Dabei hält sie sich mit einer präzisen Feinsinnigkeit in den Grenzbereichen des poetischen Sprechens auf und hält fortwährend den Blick der Übergänge von Theorie und Poesie, von Deutung und Sinn oder von Begriff und Vorstellung wach. Auf diese Weise lassen die Texte und Übersetzungen von Theresia Prammer immer auch Gedankengänge erkennen, die in ihrer Bewegung einen Erkenntnisprozess herausbilden.

Theresia Prammer lebt in Berlin und Bologna. Studium der Romanistik in Wien. Beiträge und Essays zur Gegenwartslyrik und zur literarischen Übersetzung. Herausgeberin von Anthologien und Dossiers. Übertragungen aus dem Französischen und Italienischen ins Deutsche sowie ins Italienische. Übersetzerpreis der Stadt Wien 1999, Doktorandenprogramm der ÖAW, Doc.Award 2008. Seit Februar 2008 Herausgeberin der Internet-Anthologie „italo.log" (http://www.satt.org/italo-log, zus. mit Roberto Galaverni); wissenschaftliche Beraterin von „Testo a fronte". Buchpublikationen als Autorin: Lesarten der Sprache. Andrea Zanzotto in deutschen Übersetzungen (2005); Übersetzen. Überschreiben. Einverleiben - Verlaufsformen poetischer Rede (2009). Zuletzt hrsg.: Eine Wissenschaft vom Licht. Gedichte 1960-1975. Schreibheft-Dossier zu Pier Paolo Pasolini (2009).

 

19. Oktober 2009

Eine Erstpräsentation wird es neben „Atemschaukel" auch von Lutz Seiler geben. Zum ersten Mal liest der mehrfache Preisträger, der in der geschichtsgesättigten Sinnlichkeit für Alltäglichkeiten und der Abrechnung mit der sozialistischen Utopie eine einzigartige Stellung in der Lyrik hat, innerhalb der Kulturtage Lana 09 aus dem lange erwarteten Buch „Die Zeitwaage". Neben „Turksib", für die Lutz Seiler mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis ausgezeichnet wurde, enthält der Band 13 neue Erzählungen. Ob in der Geschichte einer gespielten Erschießung oder im alltäglichen Drama einer wirklichen Trennung - in allen Texten des Bandes geht es um prägende Wendepunkte, um das Groteske im Leben und unser häufig vergebliches Rungen um einen anderen Verlauf.

 

 

19. Oktober 2009

2007 ist Wolfgang Hilbig gestorben. Die deutschsprachige Literatur verlor eine einzigartige Stimme, einen Autor zwischen Durchlässigkeit und Kraft, zwischen Unbeweglichkeit und Unruhe - so hat er sich selbst beschrieben. Wolfgang Hilbig war ein „Traumverlorener, ein versprengter Paradiesgänger" (Süddeutsche Zeitung), ein Verletzter und Widerständiger. Seine Romane, Erzählungen und Gedichte sind leidenschaftlich und voll brennender Sehnsucht, elegisch, grüblerisch, zärtlich. Die Hommage mit Jürgen Hosemann, Lektor Hilbigs und großer Kenner seines Werks, Marcel Beyer und Lutz Seiler will des Dichters und Büchner-Preisträgers gedenken, der mit „schwerer Hand" schrieb

19. Oktober 2009

Als 2001 in England unerwartet W.G. Sebald verstarb, verlor die deutsche Gegenwartsliteratur einen der stärksten, einzigartigsten und eigenwilligsten Dichter. Gerade in den USA, in Großbritannien und Frankreich genoss er so große Aufmerksamkeit, dass er - nicht ohne Einfluss von Susan Sonntag - gar als Nobelpreisträger gehandelt wurde.

In einer unverwechselbaren Rhythmik und Melodik der Sprache, die die Melancholie des Atmosphärischen und Flüchtigen mit trägt, spürt Sebald in seinem Werk stets dem Schicksal von Außenseitern, Ausgewanderten und vertriebenen Juden nach. Rekonstruktionen des Vergangenen, Sammlungen von Dokumenten und Recherchen von mündlichen sowie schriftlichen Überlieferungen untermauern Sebalds unermüdliche Frage nach der Funktion von Erinnerung und Gedächtnis, dem ein dauernder Appell gegen die Erinnerungslosigkeit voran steht. Nicht weniger (aber auch nicht unumstritten) trägt eine Poetik des Ephemeren das Werk Sebalds, die zwischen Wirklichkeit und Phantasie flirrt und fast geheimnisvoll Bezüge ineinander verwebt.

Dem Schmerz über das Schicksal der Menschen und die Trauer über die deutsche Vergangenheit hat Sebald die Bezeichnung der „Dichters der Toten" eingebracht.

Die Kulturtage Lana 09 widmen W.G. Sebald eine Hommage und präsentieren in Vorträgen, Lebenserzählungen, einem Bezug zum großen Dichter und Freund Michael Hamburger sowie einem vielbeachteten Filmportrait Aspekte von Sebalds Leben und Werk.

1. September 2009

Einer Erzählung in „Die Ausgewanderten“ stellt W.G. Sebald ein Zitat von Hölderlin in abgeänderter Form voran: „Zerstöret das Letzte / Die Erinnerung nicht“. Das Zitat wird bei Sebald nicht angegeben, aber die beiden Verse gehen auf Hölderlins „Elegie“ zurück, wo es – und zwar in Fragestellung - heißt: „Danken möcht’ ich, aber wofür? Verzehret das Lezte / Selbst die Erinnerung nicht?“ Die Verse Sebalds stehen in ihrem Bezug zu Hölderlin leitmotivisch den „Kulturtagen Lana 2009“ voran und tragen gerade in der eigentümlichen inneren Spannung, in der Erinnerung bei Sebald und bei Hölderlin unterschiedlich aufgerufen und gedeutet wird, die drei Tage des literarischen Kleinfestivals in Lana.

Erinnerung erhält demnach unterschiedliche Erfahrungs- und Erkenntnismöglichkeiten. In einem fast gegensätzlichen Anklang an das, was dem Leidenden widerfährt, scheinen sich die Zitate Sebalds und Hölderlins zueinander zu verhalten, könnten sich gar wie Frage und Antwort, wie Rede und Gegenrede bedingen. Bei Hölderlin fällt der Schmerz als Letztes, was bleibt, auch die Erinnerung, er sengt sie oder den Erinnernden nieder. Sebald kehrt geradezu mahnend die Erinnerung als das Letzte, was bleibt, hervor, und man könnte meinen, sie bliebe übrig für die Rückgabe an das (schmerzlich) Erfahrene und an die, die Schmerz unwiederbringlich erfahren haben. Nun ist aber das, was sich zwischen den beiden Momenten der Sinngebung bei Hölderlin und bei Sebald ereignet, möglicherweise nicht nur eine Art Wende aus dem alles zerstörenden Schmerz in den sinnstiftenden Akt des Gedenkens; vielmehr ist das, was Sebald gerade in ungesagter Anlehnung an Hölderlin evoziert, was er also durch das fingierte Zitat ohne genaue Angaben und in geheimer Rückkoppelung an den Nichtgenannten hervorruft, selbst eine Art von Gedenken, die Rückerstattung ebenso wie Aneignung, Revision und Deutung ist und in dem Moment poetisch verfremdet und verschleiert, wessen erinnert wird oder wie Erinnerung stattfindet. Dieses Moment, in dem sich die Erinnerung Sebalds „fremder“ Worte und Geschichten bemächtigt, ist nicht allein Teil seiner Poetik, sondern wesentlicher Teil der Erinnerung allgemein. „Es geht nicht ohne Lüge, besser gesagt: ohne innere Rekonstruktion des Vergangenen,“ sagt Georges-Arthur Goldschmidt.

Erinnerung ist also immer auch Erfindung, in unterschiedlichen Maßen hat sie Teil am Faktischen und an der Fiktion, stellt sich dem entsprechend in größere oder in kleinere Nähen zur Realität. Und ein Schreiben, das literarisch, aber auch ein solches, das wissenschaftlich Geschichte reflektiert, folgt, indem es dem Denken in Sprache bzw. dem Denken der Sprache folgt, dem Versuch, Erinnerung und Wirklichkeit darzustellen. In dem ästhetischen oder rhetorischen Maß, in dem Erinnerung und Wirklichkeit dargestellt werden, werden sie auch hergestellt; wer Erinnerung darstellt, schafft – wie ambivalent verschränkt und durchwirkt auch immer – Wirklichkeiten, verwandelt Erfahrung in Sinn, setzt Ereignisse allein durch die Wortgestaltung oder die Ungleichzeitigkeit in eine Art von Fiktion, um in ein Verhältnis zur Faktizität zu treten und die Bedingtheit des Vergessens dessen, was und wie etwas war, und des Erinnerns an das, was durch ein Schreiben sei, zu erproben.

Die drei Kulturtage in Lana stehen dem verfremdeten Zitat Sebalds folgend unter dem Thema der Erinnerung und des Gedächtnisses. Sie versammeln 19 Dichter, Autoren und Wissenschaftler, deren künstlerisches und wissenschaftliches Werk ununterbrochene Erinnerungsarbeit ist.

PROGRAMM

 

Mittwoch, 3.6.09

20.00: Eröffnung: Begrüßung Franz Schuh aus: "Schwere Vorwürfe, schmutzige Wäsche", "Memoiren. Ein Interview gegen mich  selbst " und Unveröffentlichtes

BUFFET

 

Donnerstag, 4.6.09

11.00: Ulrich Peltzer: "Teil der Lösung". Referat: „I would prefer not to. Kunst hat keinen Auftrag"

12.00: Kathrin Röggla: „wir schlafen nicht“ und „alarmbereiten“. Referat: „gespensterarbeit, krisenmanagement und weltmarktfiktion“

 

19.00: Nenad Popovic: „Eine Welt im Schatten“. Referat: „Eine Kleine europäische Psychiatrie“.

Zoran Feric und Klaus Detlef Olof:  "Der Kalender der Maya"

20.30: Drago Jancar und Klaus Detlef Olof: "Katharina, der Pfau und der Jesuit" und Vortrag: "Schriftstellers Einreden gegen Political Correctness“

 

Freitag, 5.6.09

11.00: Joseph Zoderer: Die Walsche (1982) - Der Schmerz der Gewöhnung (2002) Elmar Locher: „Zwanzig Jahre des Abstandes oder über den Rückfluss des Dialogs und die notwendige Arbeit an Gespenstern“

12.00: Franz Schuh: Referat: "Sehnsucht nach Radikalität“

 

Ästhetische Konzeptionen der Gegenwart

18.00: Brian Holmes: "Überkodierung der Gesellschaftsordnung der Gegenwart" 18.45:  Stephen Zepke: "Kunst als abstrakte Maschine: ästhetische Konzeptionen bei Deleuze und Guattari"

PAUSE

20.00: Otto Urban: "Dekadenz. Visionen und Exzess"

20.30: Pietro Kobau: "Body Art: arte borderline?"

DISKUSSION

 

Kuratoren: Christine Vescoli und Haimo Perkmann

Produktionsleitung: Olivia Zambiasi

Künstlerische Dokumentation: Hannes Egger

Mit Unterstützung der Kulturelemente

Dank an:

Südtiroler Landesregierung, Amt für Kultur

Museion – Museum für moderne und zeitgenössische Kunst

Burggräfler Kellerei Meran

 

    

 

AUS »SCARDANELLI« (2009)

erschrecke zuweilen dasz der zu dem ich
spreche nicht da ist, gelbe und rote längliche
Blättchen vom Robinienbaum wehen zur Erde, dann
durch die Quergasse ins BÜRGER CAFÉ, lesend mit
Blüten und Wolken, o Jesu dein Blut wer kann mich
erretten, mit Eichen bedeckt und seltenen Tannen, dieser
rasche Abschied du eilst zum Wagen die Steine von Syphnos mit
blaugrünen Brauen während die Schnittblumen messer-
scharf in der Wiese, die knallharte Mnemotechnik, Gedächtniskunst,
automatisiertes Hersagen An- und Ausziehen Lesen, tropfe
tupfe auf den Asphalt oder meine knarrenden
Schritte. Das Küchefenster steht offen mein Hirn
in den Kniekehlen, atme schwer

15./16.10.04

mit Scardanelli
im Grunde deines Mundes, damals
wann weisz die Schwalbe dasz es Frühling
wird nachts nadelst du als Regen an mein Fenster ich
liege wach ich denke an die Nachmittage umschlungenen
Mitternächte, vor vielen Jahren diese Rosenkugeln die
Schaafe auf der dunklen Himmels Weide

19.1.08

 

 

WEITERE VERANSTALTUNGEN

25.04.09; 17.30 Uhr
»Das Schreiben und das Schweigen. Die Schriftstellerin Friederike Mayröcker« (D/I/A, 2008)
von Carmen Tartarotti
Innerhalb der 23. Bozner Filmtage
In Anwesenheit der Regisseurin und der Dichterin
25.4. bis 2.5.2009
»Formen«: 6 Graphiken von Stefan Fabi mit Texten von Friederike Mayröcker
Galerie Spazio Arte Luna-Mondschein, Bindergasse 25, Bozen
Öffnungszeiten: täglich 10:00-12:00 und 18:00-20:00 Uhr

 

Der Schweizer Rätoromane ARNO CAMENISCH, ROBERTA DAPUNT aus dem Gadertal sowie OTTÒ TOLNAI aus der ungarischsprachigen Vojvodina zeichnen in den literarischen Miniaturen eine ländliche Welt in deren Skurrilitäten, Ambivalenzen und Schönheiten. In unterschiedlichen Stoßrichtungen, die sich zum Teil aus politischen und zum Teil aus individuellen und privaten Bezügen herleiten, gelingt es den Gedichten der drei AutorInnen, jeweils auch an die großen Themen von Nähe und Fremde, Heimat und Entfernung zu rühren.

Begleitet wird die Veranstaltung von der österreichischen Musikkapelle MidiMarschMusik, die traditionelle Marschmusikstücke in klassischer Besetzung mittels digitaler Technik interpretiert.

 

 

 

 

zu »Böse Schafe«

Kiepenheuer & Witsch, 2007

Westberlin im Jahr 1987: Soja, gelernte Setzerin, Republikflüchtling, Aushilfsblumenhändlerin mit weitem Herzen, trifft Harry, groß, frei, still-entschlossen, abgründige Vergangenheit, düstere Zukunft. Und fortan bestimmt sein Schicksal ihr Leben.
Katja Lange-Müller, vielfach ausgezeichnete Meisterin der Erzählung, greift dem Leser mit diesem lange erwarteten Roman ans Herz: Einfühlsam, komisch und in einer melancholischen Tonlage erzählt sie davon, wie eine unglückliche Liebesgeschichte das größte Glück im Leben sein kann und liefert fast nebenbei ein atmosphärisch dichtes Porträt des geteilten, stillstehenden Berlins der 80er-Jahre.

aus »Böse Schafe«

Seit ich, die Topographie des Ostteils im Gedächtnis, durch den Westteil Berlins laufe, weiß ich, diese Stadt ist tatsächlich eine; die auf beiden Seiten übriggebliebenen Häuser ähneln einander ebenso wie die nach dem Krieg hinzugekommenen. Berlin, Ost und West, erinnert mich an ein Verlegenheitsgeschenk, eine Schachtel Kaufhauskonfekt, die dann wochenlang unbeachtet herumsteht, weil ihr Inhalt nicht besonders schmackhaft (hier würden sie sagen »lecker«) ist. In den Mulden des Plastikreliefs hocken, graubeschlagen oder angeknabbert und freudlos zurückgelegt, rechts die nackten Pralinees und links die golden eingewickelten, die, aus der Folie geschält, den anderen gleichen – haargenau, könnte man sagen, wenn Pralinen Haare hätten.
Und auf einem Kalenderblatt vom vierzehnten März 1987, das als Lesezeichen in eben jenem Buch lag, hatte ich noch folgende zwei Sätze notiert:
Ich laufe umher, sehe Menschen und denke: der und der und die und die ..., wie ich kamen sie irgendwann hier an, um gleich weiter- oder wieder abzureisen, spätestens mit dem letzten Zug. Aber alle Züge waren längst weg, und der letzte ist nie losgefahren; seither sind wir auf dem Bahnhof unterwegs, und der heißt Westberlin-Zoologischer Garten.
»Ich Harry, das Benno«, sagtest du, einen Knicks, keinen Diener andeutend. Und ich bin Soja, ergänzte ich – ziemlich unwillig, weil ich befürchtete, nun würde, wie beinahe jedesmal, wenn ich mich hier im Westen jemandem vorstellte, gleich wieder das Kichern ausbrechen. – »Soja? Ach, und wie weiter? Bohne oder Soße?!« Nur einmal versuchte ich daraufhin zu erklären, daß nicht ich für meinen Vornamen verantwortlich sei, sondern meine Mutter, denn sie habe, auch und gerade »in den schweren Stunden« ihrer »ersten Niederkunft«, an ihr Idol denken müssen, »die von den deutschen Faschisten hingerichtete Partisanin Soja Kosmodemjanskaja«, die mir als »Leitstern den Lebensweg leuchten« sollte – und noch größere Heiterkeit schlug mir entgegen.
Ihr aber lachtet nicht mehr als zuvor. »Und, Soja«, sagtest du, »was ist? Wollen wir einen Kakao trinken gehen?«

30. Oktober 2008

2009 wird der N.C.-Kaser-Lyrik-Preis zum 10. Mal vergeben. Ausschau haltend nach Literaturen, die durch Sprache so eigensinnig vorstellig werden, dass sie schwer verwendbar sind für einen vorgefertigten Gebrauch vorhersehbarer Zusammenhänge, die vielmehr erst am neuralgischen Punkt zwischen dem absoluten Fernbleiben und dem Lauf von Diskursen offenbar werden (d.h. also frei werden für ein außerordentliches Sprechen in korrespondierenden und öffentlichen Verhältnissen), will die Literatur in Lana mit dem N.C. Kaser-Lyrikpreis ein literarisches Sprechen verteidigen, das nicht immer zu absehbaren Zielen führt und nicht immer bereit stehende oder bereits bestehende kulturelle, kulturpolitische oder konventionelle Zugehörigkeiten firmiert. Der N.C.Kaser-Lyrikpreis will in diesem Sinne preisgeben, was nicht kategorial schon abgekartet und was abgesegnet schon vorab entscheiden ist, sondern was die Begegnung mit dem Hörer erst erprobt und was aus dem eigenen ästhetischen und je traditionellen Zusammenhalt folgernd eine konformistisch mitunter ungesicherte Gangart einschlägt. Weil damit aber Korrespondenzen nicht wissend bedient, sondern verbindungen vereinzelt sich bedingen, die allgemein gelten, wird ein öffentlicher Spielraum vielleicht neu eröffnet.

Der N.C.Kaser-Lyrikpreis wandert seit seinen Anfängen von Land zu Land und sucht  Verwandtschaften über die Sprachgrenzen hinweg. In diesem Jahr geht der Preis an die schwedische Dichterin, Literaturkritikerin und Übersetzerin AASE BERG (*1967).

Oswald Egger hält die Laudatio, Übersetzerin Renate Bleibtreu liest Gedichte von Aase Berg auf Deutsch.

1. April 2004

Den 8. N. C. Kaser Lyrikpreis erhält Barbara Köhler für ihr Werk, das sowohl theoretisch wie dichterisch aus einem hoch reflexiven Gestaltungsraum kommt.

Die Dichterin aus Duisburg legt ihr Stethoskop an Ereignisse von Sprache. Mehrdeutigkeiten erscheinen, Verzweigungen entfalten sich und Unterschiede. Es teilt sich die Bedeutung, die Bezeichnung gerät in Verschiebung, Sprechen wie Hören geschehen im Abklopfen von Deutungsrichtungen.

Barbara Köhler durchleuchtet das Trennende und stets Differente, sie misst im Vertrautsein mit dem Befremdenden die Entfernung zwischen Wort und Sinn, zwischen Stimme und Stummsein, zwischen Ich und Du. Die Identifikationsfunktion von kommunikativen Zusammenhängen kommt darin zum Erliegen, während sich ein anderes offen legt: Die Differenz als Grundstruktur. Als movie. Als Vexierspiel. Im Changieren von Sprache, im Wenden und Abhören von Wörtern und deren Schau-Spiel werden Bedeutungen durchleuchtet, Ausrichtungen gelegt, Kongruenzen geschaffen. Dichtung wird zum Orakel, das Mehrdeutigkeiten vergegenwärtigt und doch klar spricht: Der Unterschied eröffnet sich im Hören. Sprache als Ereignis erscheint ebenso fragil wie sie beständig ist, interferiert zwischen Möglichkeiten, verbindet Stimme, wird selbst zum Stimmband.

01. Januar 1970

1988, im Jahr der ersten Preisvergabe, gab es die Mauer noch, und den Preis einem Ostberliner Autor zu verleihen, war das Entlegendste, was damals vorstellbar war. Erster Preisträger war Bert Papenfuß-Grorek aus Berlin. Im Jahre 1990 ging der Preis an den ungarischen Dichter Laszlo Garaczi, 1992 an die junge Dichterin Marion Picker aus Bonn, 1994 an die Schriftstellerin Gundi Feyrer, die jetzt in Madrid lebt. Bislang letzter Preisträger war 1996 der tschuwaschische Lyriker Gennadij Ajgi aus Moskau.

Seit der ersten Preisvergabe hat sich der Literaturbetrieb grundlegend gewandelt: unter dem steten Einfluß nicht nur der amerikanischen Weltwirtschaft haben sich auch die deutschen Verlage – unaufgefordert – in eine Haltung manövriert, die es inskünftig kaum noch zuzulassen scheint, daß nur zum Beispiel alle wichtigen Autoren einer Generation entsprechend repräsentiert und verlegt würden. Bis auf einige wenige, die sich entweder mit den betrieblichen Gegebenheiten arrangieren oder sonstwie irgend eine Macht respektive ökonomische Unabhängigkeit besitzen, gelingt es den besseren und absehbar auf längere Zeit wichtigeren Autoren kaum mehr, ihre Werke adäquat zu placieren. Beispiele gibt es viele. Dieser Umstand scheint zwingend, den Preis aktuell in die Richtung zu drehen, die er eigentlich immer schon hatte: Kulturpolitik gegen die Rücksicht auf Moden, Trends und akademische Diskussionen, - und Zeichen setzend allemal.

Die Preisstifter haben sich daher entschlossen, anläßlich der ersten 10 Jahre Kaser-Preis und für die sechste Verleihung eine Dichterin auszuzeichnen, die unbestreitbare Qualität als Lyrikerin – eine der wenigen überragenden ihrer Generation – und gegenwärtig kaum Chancen auf Publizität und Möglichkeiten besitzt, in einem auch nur kleinen oder mittleren Verlag zu publizieren. So schaut es nämlich immer mehr aus: entweder ein Autor läßt sich durch Agenten vertraglich an bestimmte Inhalte oder Genres verpflichten, oder er vollzieht diese implizite Zensur bereits selbsttätig im Kopf – oder er hat, lebensweltlich gesehen, das Nachsehen.

Deshalb wird der Preis einer renommierten wie betrieblich beiseite geschobenen Lyrikerin zugesprochen, nämlich der in Berlin lebenden Elke Erb. Die Laudatio hält Marcel Beyer.

Worauf sollte ein Autor, eine Autorin hoffen, wenn eine ganze Generation – jene N. C. Kasers –, jetzt älter geworden, praktisch keine Chance auf gebührende Veröffentlichung hat? Die Mauern der Politik haben wir hinter uns gelassen, vor uns liegen die Mauern der Ökonomie.

In seiner 16. Ausgabe ging der Preis an John Burnside (*1955). Der Dichter, der die Kindheit in einer sterbenden schottischen Bergarbeiterstadt und in den englischen Midlands verbrachte, macht Verbrechen, Psychosen und Albträume ebenso zum Thema wie die Bezauberung durch die Natur und Mystik. Irrlichtern flackert seine Literatur in poetischer und dann robuster Umgangssprache, schürft an den Rändern verstörender Wahrnehmung und flimmert zwischen dunkler Beschwörung und hartem Realismus.

Nichts hier ist dauerhaft; keiner plant ein Weltreich; das ist heiliger Boden, wo nichts geschieht, ein Ort, aus dem wir ein Zuhause machen können, solange wir verstehen, dass wir ihn nicht festhalten, besitzen, weiterschenken können: Seidenreiher und Kormoran, heiliger Ibis, Watvögel und Strandläufer; die japanische Touristin; das Mädchen von der Hafenbar; Gespenster der Clans, neue Heilige und selbsternannte Hüter des Gesangs und des Kriegs; die unerschrockenen Toten; hier ist alles auf Durchreise – doch dieses Durchreisen ist genau das, was wir heute als Heiligtum denken;

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was jetzt zählt, ist nicht das Erzählen, was zählt, ist nicht das Ereignis, sondern der leicht zerfranste Saum der Verkündigung; was zählt, ist der Moment, wo nichts zählt.

„Für mich gehören diese Gedichte, in denen die Erzählung, die Aufzählung, die Aufmerksamkeit sich selbst unterbricht, um das Inkommensurable zuzulassen, das sich den Diskursen entzieht, nicht nur zu den besten der Gedichte von John, sondern zu den wirklichen bedeutenden Gedichten unserer mit Gedichten reich gesegneten Zeit. Sie sind nicht nur Notate des Sehens, sondern blicken darüber hinaus; sie sind nicht nur Beschreibungen, sondern Verarbeitung des Beschriebenen; sie sind nicht nur die Wiedergabe von Meinungen, Empfindungen und Ansichten, sondern zugleich deren Infragestellungen. Weil sie sich der Empfindlichkeit der Weltsituation sehr bewusst sind, feiern sie diese Welt. „die alte Not ist’s,/die uns bei Kräften hält.“ (Michael Krüger)

Am 24. Februar 2022 griff Russland die Ukraine an. Seither herrscht nach Jahrzehnten des Friedens und der Konfliktlösung durch Gespräche wieder Krieg in Europa. Welche Sprache haben wir nun für eine Erfahrung, die wir glaubten, nicht zu haben und nicht haben zu müssen? Welche müssen wir finden und welche herrscht bereits, an der wir erkennen, wo Gewalt und Menschenverachtung anfängt? Die 37. Literaturtage Lana versammeln Autorinnen und Autoren aus osteuropäischen Ländern, die durch die Geschichte und Nähe Russlands von dessen langem Arm geprägt sind. Mit ihnen stellt das Literaturfestival von Lana Fragen nach Krieg und Sprache.

37. Literaturtage Lana 2022

„KRIEG UND FRIEDEN“

30. August – 1. September 2022

Raiffeisenhaus Lana, Andreas-Hofer-Straße 9

Dienstag, 30. August 2022

20.00 Uhr Eröffnung mit Bürgermeister Dr. Harald Stauder, Elmar Locher, Präsident der Bücherwürmer, und Christine Vescoli, Kuratorin der Literaturtage Lana Juri Andruchowytsch: „Radio Nacht“ (Aus dem Ukrainischen von Sabine Stör, Suhrkamp Verlag 2022) Moderation: Ilma Rakusa

Mittwoch, 31. August 2022

18.00 Uhr Ilma Rakusa: Kein Tag ohne (Droschl Verlag 2022) Moderation: Christine Vescoli

19.00 Uhr Valzhyna Mort: Musik für die Toten und Auferstandenen (Aus dem Belarussischen von Katharina Narbutovic. Suhrkamp Verlag 2021) Moderation: Katharina Narbutovic

20.00 Uhr Ljudmila Ulitzkaja: Ein Portrait Einführung: Ilma Rakusa Lesung: Patrizia Pfeifer Videogespräch: Ganna Maria Braungardt und Christine Vescoli

Donnerstag, 1. September 2022

17.00 Uhr Katrin Hillgruber: "Lebendig und arbeitsam". Die Stadt Charkiv und die Bedeutugn für die ukrainische Kultur

18.00 Yevgeniy Breyger Dagmara Kraus Ernest Wichner Moderation: Christine Vescoli

20.00 Uhr Tomas Venclova: Variation über das Thema Erwachen (Gedichte. Aus dem Litauischen von Cornelius Hell. Edition Lyrik Kabinett bei Hanser 2022) Moderation: Cornelius Hell

In der unverwechselbaren Konsequenz, die Barbara Hundeggers Arbeit auszeichnet, hat sich die österreichische Lyrikerin in Sprache und Bilder von Dante Alighieris Fegefeuer gestürzt. Kunstvoll verwebt sie die Themen, Gefühls- und Denkwelten des großen europäischen Dichters in eine heutige lyrische Auseinandersetzung und geleitet ihre Leserinnen und Leser durch ein Fegefeuer unserer Zeit.
Dantes Göttliche Komödie in der Gegenwart:
Fragend und kritisch, unpathetisch und emanzipatorisch zeigt die Dichterin, wie viel aktuelle gesellschaftspolitische Brisanz in der Göttlichen Komödie steckt – vom Raubrittertum so genannter Eliten bis zum Kalkül in der Liebe.

Einführung: Donatella Trevisan

01. Januar 1970

Zum 9. Mal wird 2006 der N.C. Kaser Lyrikpreis in Lana vergeben und zwar an den persisch-deutschen Dichter Farhad Showghi, der in Hamburg als Psychiater tätig ist. Die Laudatio hält Ulf Stolterfoht.

„Das Alphabet wechselt die Sprache“ – So ist ein Kapitel benannt im letzten Buch von Farhad Showghi. Damit benennt sich auch sein Poesieverständnis, seine schüchterne Sprachsuche in der Wirklichkeit der Wörter. Die Lektüre seiner Texte benötigt Zeit, die den Raum ergibt. Einfache Sätze verrücken die Wahrnehmung und finden neue Welten, schaffen Denkraum und – ganz im Sinne der Preis-Konzeption: schaffen neue Möglichkeiten.

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