Judith Albert

Der Klang des Atems
Im vollkommen abgedunkelten Raum des Espace d’art contemporain in Porrentruy zeigt Judith Albert fünf einzelne Videos. Es sind fünf stehende Bilder, denn was zu sehen ist, verändert sich kaum und könnte doch weder Malerei noch Zeichnung sein, sondern funktioniert nur mittels dieses Mediums. Etwa die Arbeit „zwischen der Zeit“, die ein Bild Vermeers nachstellt – eine Frau an einem Tisch, die aus einem Krug Milch in eine Schale giesst. Auch der angeschnittene Brotlaib fehlt nicht, und wer genau hinschaut, sieht, dass sich der Milchstrahl, der Krug und die Hände bewegen. In „Pomeriggio“ bewegt sich ein Vorhang vor einem Fenster im Wind in und her, und in „Handzahm“ sammelt eine Frau die an einem Strandstück am Boden verstreuten Flammen auf und steckt sie in eine Plastiktüte, wo sie weiterbrennen, „Bilan d’un été“ nennt Judith Albert ihre Installation, und wie in Rilkes „Herbsttag“ wird auch in diesen Arbeiten ein Wendepunkt angedeutet. Dabei werden die Handlungen der einzelnen Videos mehr geahnt als gesehen, und man steht gebannt vor den Bildern – konzentriert dem Klang folgend, der wie ein regelmässiges Atmen durch den Raum gleitet. Auch wenn bisweilen Bezüge zu bekannten Gemälden aufleuchten, so erinnert dieses Sprache höchstens, und auch dies nur von ferne an die Arbeiten Tarkowskis; wie dort ist hier eine Verbindung von Ruhe, Konzentration und Gelassenheit zu spüren, die einem erst nach dem Verlassen des Raumes zeigt, dass nicht mehr alles so ist wie vorher.
(NZZ, 9.,10. November 2004)

 

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