Artur Becker

Texte:

Kuba Dernicki ist ein glücklicher Mensch. Er hat Arbeit und Familie und lebt seit vielen Jahren im Paradies, in Deutschland. Doch eines Tages treibt ihn eine starke Sehnsucht zurück nach Polen, in die alte Heimat, an die Stätten seiner Kindheit, an den Dadajsee. In eine wunderschöne Landschaft, bevölkert von überaus eigenwilligen Menschen, die mit List, Humor und Wodka überleben. Und die sich Geschichten erzählen, in denen die Toten, auch wenn sie nicht katholisch sind, wiederauferstehen. Wie Marta, Kubas junge Geliebte, die vor vielen Jahren auf der Flucht vor kommunistischen Häschern im eiskalten Dadajsee ertrunken ist und die in der Hoteldirektorin Justyna Star (einer Doppelgängerin?) weiterlebt, schön und begehrlich, wie damals. Kein Wunder, daß Kuba sich in Justyna verliebt und daß von nun an ein ganzes Dorf verrückt spielt, der Bürgermeister Król wie der alte Pfarrer Kazimierz, die einäugige Tante Ala wie Wojtek, ihr Galan. Und in deren Mitte taumelt Kuba, den ein sprechendes Messer begleitet, von Augenblick zu Augenblick, hinein ins Herz der Erinnerung. Wodka und Messer ist ein Heimatroman, ein Liebesroman, ein kunterbuntes Buch, über dem der polnische Himmel leuchtet, „sternhagelvoll wie die Männer von Bartoszyce, wie die Fische im Dadajsee.“

Prolog

Das Mohnblumenfeld und die Vogelscheuche

Du unser stacheliger See, der du immer Sommer und Winter heißt … So einfach ist das, wenn man in dir ertrinkt – mein junges verängstigtes Herz ist durstiger und stärker, als ich es je vermutet habe, dachte Marta und spürte, wie sich ihre Lunge und dann ihr Bauch mit dem Wasser füllten, mitten in der Nacht, mitten im Winter, an ihrem letzten Silvester. Jetzt weißt du es, dachte sie noch, das Fegefeuer ist in Wirklichkeit kalt, denn du hattest nur Durst, gewaltigen heißen Sommerdurst, und nun ist alles gut und vorbei … Du wirst nie wieder das Wasser des Fegefeuers trinken müssen, dein Durst ist gelöscht … Öffne noch einmal die Augen – dein Liebster kann dich nicht mehr sehen … Es gibt sieben Todsünden, aber keine einzige ist tödlich und keine einzige hast du begangen, und trotzdem musst du jetzt sterben, obwohl du noch so viel zu sagen hättest – du wolltest deinem Liebsten noch so viel sagen, ihm deinen letzten Traum, ihm noch eine Nacht schenken, und er kann dich nicht mehr hören, aber sprich weiter, erzähl ihm ein letztes Mal eine Geschichte: Gestern träumte ich wieder, mein Liebster, ich sei eine Vogelscheuche, stünde inmitten von Mohnblumen im roten Schwimmbecken bis zu den Hüften … Den Himmel sah ich kaum unter meinem Filzhut …. Löcher in der Hose hatte ich keine, was für ein Wunder! Keine Löcher im Sakko und in meinem Hemd! Ich stand so viele Nächte und Tage, die kein Ende nahmen … Mit schwerem Kopf wachte ich auf, mutlos, entmündigt, durch was und wen? Mit schweren Augen setzte ich mich an den Tisch, dann auf die Fensterbank und träumte weiter, wovon? Keiner sagt, wovon, vielleicht von einem alten Haus am Waldrand – von einer Hütte, wie sie in den Bergen zu finden ist … Dann sah ich dich, mein Liebster, vor diesem Haus, der Schornstein rauchte nicht und da wusste ich, wie gut es eine Vogelscheuche hat … Sie lebt nicht, greift nicht an, schaut aber sehr genau, wer vorbeigeht, wer sie ohne Abschiedsworte stehen lässt in Mohnblumen auf einem alten Feld … Die abendlichen Spaziergänger sagen nicht zu ihr: „Wir sind gekommen, um dich auf den Tod vorzubereiten.“ Die abendlichen Spaziergänger schweigen, und die Vogelscheuche muss sich Tag für Tag selbst die Frage stellen: „Ist es schon soweit? Und welchen Tod meint ihr?“

 

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