15. März 2011

Der Abend mit Herbert Rosendorfer unternimmt eine gezielte Lektüre des umfangreichen Ouvres, das vorwiegend der phantastischen Literatur angehört und dabei klug, in Drehungen karnevalesker Rollenspiele, mit Elementen und der Tradition von Satire und Groteske Gesellschaftskritik und Geschichtsbewusstsein verhandelt.
Der bitterböse Humor und das burleske Lachen werden dabei leichtfüßig als literarisches Mittel gegen Gesetze des Autoritären und Verbote der Macht einsetzt.

Nicht zuletzt versucht der Abend auch jenem Verhältnis auf der Spur zu sein, das Herbert Rosendorfers Werk zwischen literarischem Handwerk und dem Einfluss juridischer Grundfragen pflegt. „Der Jurist“, sagt Herbert Rosendorfer, „schaut mir in meinem Schreiben immer über die Schulter, etwa in der Frage nach der Gerechtigkeit: Gerechtigkeit nicht unbedingt als Ziel der Rechtschaffenheit, vielmehr als Ding an sich.“

Im Mittelpunkt des Abends stehen die Lektüren aus „Der Ruinenbaumeister“ (1969), „Die Nacht der Amazonen“ (1989) und ein jüngster, noch unveröffentlichter Text.

1969 erscheint Der Ruinenbaumeister. Der Kritiker Martin Gregor Dellin spricht in seiner Rezension in der Zeit von einem in sich verschachtelten Werk, in dem der Titel selbst zur Allegorie des Erzählens würde. Und entfaltet sich an Ruinen der Schauplatz des Erzählens, dann sind immer schon Zeiten ineinander gebrochen, Lebenszeit scheint sich auf Weltzeit zu weiten, oder aber Weltzeit scheint auf Lebenszeit zusammengedrängt. In der Ruine überlebt sich der Baumeister selbst. Und wird das Werk als Ruine gebaut, dann ersieht er an diesem bereits zu Lebzeiten sein Überdauern in Fragmenten der Weltzeit. Und so gehen in diesem Werk Zeiten ineinander über und ineinander aus, Schauplätze wechseln kontinuierlich, finden zu ihren je eigenen Sprachen und Rhythmen, die von der präzisen musikalischen Erörterung zum Dialekteinsprengsel der Tatzelwurmjagd im Hochgebirge sich spannen. Welten erscheinen als Fragment und als Fragment müssen sie neu erzählt werden: Gerüche werden über das Gehör wahrgenommen und Sprachlaute übersetzen sich in farbige Lichtsequenzen. Der Titel spielt auf Prinzipien des Erzählens selbst an. Erzählen konstituiert sich im ständigen Wechsel von Aufbau und Abbau, von Übergängen und Unterbrechungen, von Konstruktion und Dekonstruktion wie Destruktion. Vom Zugabteil gleiten wir in Parkanlagen, von Parkanlagen in einen Festungsbunker, der sich wie ein Zeppelin, wie eine Zigarre, in die Erde gebohrt hat mit tausendsechzehn Stockwerken. In diesem Festungsturm ist die Zeit auf Grund bestimmter technischer Veränderungen etwas ramponiert worden, sie, die absolute, ist eine andere geworden, ohne dass man wüsste, wie diese nun genauer zu bestimmen wäre. Die relative Zeit, die auf den Körper bezogene ist gleich geblieben: „Wenn man die Zeit gleichlaufend zur Körpertätigkeit, mit dem Wechsel von Hunger und Schlaf berechnet – relative Zeit – , die ist natürlich geblieben.“ Und betritt man diese in die Erde gebohrte Zigarre, dann ist es , als verließe man die Welt selbst.
1989 erscheint Die Nacht der Amazonen. Der Roman rekonstruiert aus Akten und historischen Dokumenten die Biographie des Christian Weber, der es vom einfachen Pferdeknecht in München dann zur NS-Größe gebracht hat. Der Roman setzt ein mit einer Personenbeschreibung aus dem Jahre 1921. Diese Personenbeschreibung endet lakonisch: „Die Beschreibung stammt aus einem Protokoll der Polizeidirection München, aufgenommen am 30. Oktober 1921. Grund der Vorführung des Delinquenten: Verdacht der Beihilfe zum Mordversuch. Name: Weber, Christian.“ Doch auch in diesem Roman wechseln die Stilelemente, auf verschiedenen Ebenen werden die Vorgänge zum Gegenstand des Kommentierens und des Erzählens. Auch in diesem Roman brechen andere Zeiten in die historische Zeit ein, es bricht die Nacht der Amazonen ein und an. Denn dem etwas rüpelhaften, nun zur Macht gekommenen ehemaligen Pferdeknecht gefällt es, Reiterspiele mit nackten BDM-Mädchen zu veranstalten. 1936, 37 und 38 finden die drei Nächte der Amazonen statt: „‚Nackt und schön müssen die Madlen sein‘, soll Christian Weber, ‚… der die oberste Leitung dieses Festes innehatte …‘, gesagt haben.“ Doch auch dieser Roman Rosendorfers stellt die Frage nach dem Zusammenhang von Macht und Gesetz, Recht und Gerechtigkeit. Und im Vermerk einer kleinen Geste schreibt sich der Roman an die wohl bekannteste Geste in Kafkas Process-Roman heran. Wir erinnern uns: K nimmt vom Schreibtisch ein leeres weißes Blatt Papier und hebt es auf flacher Hand zu den Herren hinauf. Genau so wolle er die letzte Eingabe bei Gericht vornehmen. Bei Rosendorfer nun, nachdem Christian Weber, der es immer wieder mit der Justiz zu tun bekommen hatte, zur Macht gekommen war, lässt sich dieser nämliche Weber die Schriftstücke hinaufreichen: „Aber jetzt: 60 Mark. Weber zahlte nicht. Wieder tausend Ausreden. Sie reichten hin bis Januar 1933, und dann wagte keine Strafvollstreckungsbehörde mehr, Weber so etwas auch nur unter die Nase zu halten. Da saß Weber oben. Da wurden ihm Schriftstücke hinaufgereicht. Wenn sie ihm nicht paßten, schleuderte er sie verächtlich hinunter.“

Diesen und ähnlichen Zusammenhängen will der Abend mit Herbert Rosendorfer nachgehen. Präsentiert sei dabei die Literatur eines scharfen Beobachters, der gesellschaftliche und historische Sitten und Zustände im bitterbösen Humor als fröhlichen Popanz enttarnt.

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